Panel 2: Die ewig offenen Adern Lateinamerikas?

Unter Bezug auf Eduardo Galeanos berühmtes Buch, die offenen Adern Lateinamerikas, drehte sich das Zweite Panel mit MdB Ingrid Hönlinger, Vorsitzende der Deutsch-Südamerikanischen ParlamentarierInnengruppe, als Moderatorin, sowie den Gästen Oscar Rivas, ehemaliger Umweltminister Paraguays und Carlos Monge aus Peru, dem Koordinator des Netzwerkes Revenue Watch für Lateinamerika, um Rohstoffabbau. Der Rohstoffhunger Europas, Chinas und der USA sowie das Profitstreben so genannter Eliten in Lateinamerika führt zu dem, was man als (Neo-) Extraktivismus bezeichnet und bringt Raubbau an der Natur und soziale Verwerfungen mit sich.

Carlos Monge, Anthropologe und Historiker, Revenue Watch Koordinator für Lateinamerika

Carlos Monge beschrieb die wachsende Abhängigkeit der Volkswirtschaften vom Extraktivismus und sprach von einer "Reprimarisierung" der Wirtschaft. Der Anteil der Steuereinnahmen aus der Rohstoffwirtschaft steige in vielen Ländern Südamerikas stark an. Gleichzeitig wachse damit die Verwundbarkeit der Volkswirtschaften, da die Preise auf den globalen Rohstoffmärkten auch Schwankungen und Krisen unterliegen können. Dies werde zu einem zunehmenden Risiko für die Länder.  Aufgrund der global steigenden Nachfrage nach Rohstoffen werden die Förderbereiche immer stärker ausgedehnt, auch in der Nähe oder direkt zu Lasten von Schutzgebieten und von der lokalen Bevölkerung genutzten Gebieten. Hiermit einher geht zunehmender Protest der lokalen Bevölkerung gegen die Großprojekte. Allein in Peru sind heute bereits 62% aller Konflikte auf die Ausweitung von Rohstoffvorhaben zurückzuführen.

Transnationale Bergbau- und Agrarkonzerne sowie staatliche Unternehmen gehen dabei sehr ähnlich vor und nehmen wenig Rücksicht auf besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen oder den Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt. Dabei geht mit der Ausweitung des Rohstoffabbaus auch ein zunehmender Energiebedarf einher, der zu weiteren Konflikten führt.  So protestiert die Bevölkerung in Patagonien gegen den Neubau riesiger Wasserkraftwerke, die für die Energieproduktion im Bergbausektor benötigt werden. In Chile werden 30 % der Energie durch den Bergbau verbraucht. Auch der Wasserverbrauch ist enorm, was neben dem Klimawandel zu einem zusätzlich schnelleren Abschmelzen von Gletschern in den Anden führt.

Als Lösungsbeiträge schlug Monge eine strengere Umweltgesetzgebung sowie die Verstaatlichung der Gewinne aus dem Rohstoffsektor vor, um diese sozial zu reinvestieren. Zugleich brauche es  eine effizientere Nutzung der Rohstoffe, einen Umbau des Energiemodells hin zu Erneuerbaren Energien und eine Agrarwende die den Fokus auf eine ökologische und sozial nachhaltige Produktion lege. Einige Länder würden einige Aspekte hiervon bereits umsetzen. Costa Rica habe Tagebaue verboten und die ITT-Yasunì Iniative in Ecuador zeige, dass sich einige Regierungen zumindest um andere Wege als den Ausbau des Neoextraktivismus bemühen. Für den EU-Lateinamerikagipfel sieht Monge Potential zur Verknüpfung der lateinamerikanischen Diskussion um Neoextraktvismus mit der europäischen Post-Wachstumsdebatte. Dafür müssten weitere Allianzen geschmiedet werden.

Oscar Rivas, Umweltminister a.D. Regierung Lugo, Paraguay

Oscar Rivas, der ehemalige Umweltminister Paraguays der im Juni unter putschähnlichen Umständen aus dem Amt gejagten Regierung von Präsident Fernando Lugo, berichtete von der Macht der Großgrundbesitzer und Sojazüchter in Paraguay. Gemeinsam mit transnationalen Firmen wie Monsanto, die die ganze Welt mit gentechnisch versendetem Saatgut "beglücken" wollten, hätten sie hinter den Kulissen die Fäden gezogen und dazu beigetragen, dass Präsident Lugo auf sehr zweifelhafte Weise abgesetzt worden sei. Der nun wieder ungebremste Sojaboom würde den Druck auf die Kleinbauern, die Indigenen und die restlichen verbliebenen Urwälder und Schutzgebiete enorm erhöhen. Gleichzeitig gebe es jedoch auch die vor vier Monaten gegründete grüne Bewegung in Paraguay, die Anlass zu Hoffnung gebe.

Rivas forderte eine Stärkung der Demokratien in den Ländern Lateinamerikas und mehr globale Vernetzung um  die notwendige radikale Wende der Wirtschaftsmodelle voranzubringen. Nicht nur die Zerstörung der Ökosysteme, sondern auch der traditionellen Kulturen und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch multinationale Unternehmen, müssten entschiedener angegangen werden. Er hob die Notwenigkeit einer stärkeren Orientierung an den Werten und Kulturen der indigener Völker hervor. Rivas sprach auch von einem notwendigen Maß an Radikalität, das für einen Wandel benötigt werde. Dabei verwies er darauf, dass mit Radikalität keineswegs Fundamentalismus oder Intoleranz gemeint sei, es brauche aber eine radikale Wende des Wirtschaftsmodells. Unter dem Deckmantel von "Entwicklung" würde viele Straßen, Häfen, Staudämme und Pipelines als Entwicklungsprojekte verkauft. In der Realität zerstören diese Vorhaben, die dem globalen Kapital und multinationalen Konzernen dienen, jedoch Ökosysteme, Lebensräume von Indigenen und der lokaler Bevölkerung sowie auch dauerhaft unsere Lebensgrundlagen durch massive Umweltauswirkungen.