Panel 3: Aufbruch zu einer neuen Partnerschaft – was auf dem EU-Lateinamerikagipfel in Santiago de Chile auf den Tisch muss

Das Abschlusspanel drehte sich um die Erwartungen und Forderungen, die die KonferenzteilnehmerInnen an den EU-Lateinamerika-Gipfel in Santiago herantragen, und welche Themen dort im Mittelpunkt stehen werden.

Jorge Balbis, Vereinigung lateinamerikanischer Organisationen zur Förderung von Entwicklung (ALOP)

Jorge Balbis, von der Vereinigung lateinamerikanischer Organisationen zur Förderung von Entwicklung (ALOP) eröffnete die Runde mit dem wichtigen Hinweis, dass der Gipfel in Santiago zwar nicht unbedeutend sei, aber im Kontext einer umfassenderen Beziehung zwischen den beiden Kontinenten steht, in der er nur ein kleiner Moment ist. Unser Engagement müsse daher weiter greifen. Vor allem die europäische Zivilgesellschaft sollte ihr Augenmerk bereits auf den Folgegipfel 2014 in Brüssel richten, ein Aufruf, den Barbara Unmüßig später bekräftigte. Auf dem Gipfel würde die Verabschiedung des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika verkündet werden sowie voraussichtlich auch des Freihandelsabkommens mit Peru und Kolumbien. Auch wenn das Assoziierungsabkommen noch durch die Parlamente aller beteiligten Staaten ratifiziert werden muss, tritt die Handelssäule direkt nach Annahme durch das Europäische Parlament in Kraft. Ebenso präsentiert wird in Santiago die Gründung der EU-LAC-Stiftung sowie der Latin America Investment Facility (LAIF). Beide wurden ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft geschaffen, ihr Mandat und ihre Funktionsweise sind sehr intransparent. Parallel zum Treffen der Regierungschefs wird ein Gipfel der Völker stattfinden, um der Bevölkerung Lateinamerikas und den Medien zu zeigen, dass es Alternativen zur Partnerschaft gibt, wie sie auf dem offiziellen Gipfel gepriesen wird.

Juan Carlos Villalonga, Vorstandsmitglied los Verdes-FEP Argentinien

Juan Carlos Villalonga,  Vorstandsmitglied der Grünen in Argentinien, berichtete im Anschluss über die Lage in Argentinien, wo 2007 ein sehr transparent und partizipativ entwickeltes Gesetz zur Flächennutzung erlassen wurde, das die rasante Zerstörung der Wälder stoppen sollte. Auch wenn dieses Gesetz ein historischer Erfolg war, wurden für seine Umsetzung keine Gelder im Haushalt bereitgestellt, so dass es völlig ohne Zähne blieb. Die Regierung fährt weiterhin einen stark exportorientierten Kurs, der nicht mit dem Schutz der argentinischen Wälder zu vereinbaren ist. Die Kämpfe um Land zwischen Indigenen und Agrobusiness bleiben weiterhin bitterer Alltag. Daher ist es umso wichtiger, dass dieses Thema in Santiago auf die Tagesordnung gesetzt wird und die EU ihre Agrarhandelspolitik hinterfragt.

Bischof Ramazzini, Bischof aus Guatemala, hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Neuausrichtung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Lateinamerika. Er stellt klar, dass das Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika in Realität ein reines Freihandelsabkommen sei. Er warf zahlreiche Fragen auf: Warum wurde das Abkommen mit jedem Staat einzeln verhandelt, statt die regionale Integration zu stärken? Warum wird nicht von Migranten, sondern nur von freiem Waren- und Finanzverkehr geredet? Warum wurden die Ärmsten und die Menschenrechte nicht berücksichtigt? Warum konnte das 0,7%-Ziel immer noch nicht erreicht werden? Die Verhandlungsführer auf europäischer Seite wüssten sehr genau, wie die zentralamerikanischen Gesellschaften aufgebaut sind, dass sich die wirtschaftliche und politische Macht in den Händen weniger Familien konzentriert. Solange sich dies nicht ändert, könne es keine gerechten Handelsabkommen geben. Er schloss mit dem Zitat, dass die Grünen die offenen Augen Deutschlands seien, und dem eindringlichen Appell: "Macht sie nicht zu!"

Beate Walter-Rosenheimer, Mitglied des Bundestages, stellte im Anschluss die zentralen grünen Forderungen für eine soziale und ökologische Transformation der Wirtschaft vor. Die Handelspolitik dürfe die Milleniums-Entwicklungsziele, Menschenrechte und internationale Abkommen im Umweltbereich nicht konterkarieren, bestehende Freihandelsabkommen müssten entsprechend neuverhandelt werden. Zudem müssten unter Anderem verbindliche Regeln für Unternehmen aufgestellt werden, auch die Kontrolle über Tochterfirmen müsse ausgebaut werden. Freiwillige Leitlinien, so zeige die Erfahrung, reichten hier nicht aus. Das öffentliche Beschaffungswesen solle fair gestaltet, die Außenwirtschaftsförderung an die Einhaltung von sozialen, Umwelt- und Menschenrechtsstandards gebunden, Projekte wie Yasuní gefördert werden. Die derzeitige Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit müsse grundlegend reformiert und auch die Möglichkeit der Klage für Staaten und Betroffene gegen Investoren eingeführt werden. Die Liste sei keineswegs erschöpfend, hier sollten nur einige der grünen Ziele im Bereich Außenwirtschaft dargestellt werden.

v. l n. r.: Ska Keller, MdEP, Jorge Balbis, Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stifung, Juan Carlos Villalonga, Álvaro Ramazzini, Bischof in Guatemala, Beate Walter-Rosenheimer, MdB, Obfrau im Wirtschaftsausschuss, Mitglied der Kinderkommission

Ska Keller, Mitglied des Europaparlaments, beendete das Panel mit einer Erläuterung, wie es zu den sehr einseitigen Assoziierungs- und Handelsabkommen komme. Sie machte deutlich, dass es um die Interessen ganz bestimmter Konzerne ginge, die dann unter dem Mantel der "europäischen Interessen" vertreten werden. Es werden Absatzmärkte für Überschüsse (z.B. von Milchprodukten und Wein) gesucht und knallhart erschlossen. Die EU fahre hierbei eine sehr inkohärente Linie: Auf der einen Seite sollten die anderen Staaten sich einer absoluten Liberalisierung unterwerfen, der europäische Agrarsektor werde aber vor einer Öffnung beschützt. Europäische Investoren sollten im Ausland beschützt werden, dass andere Investoren aber auch uns verklagen könnten (Beispiel: Vattenfall gegen Deutschland) werde nicht beachtet. Auch zaghafte Versuche einer Bankenregulierung würden durch die Freihandelsabkommen wieder untergraben. Auch wenn die Grünen die viertstärkste Kraft im Europäischen Parlament bilden, sehe es in der Handelspolitik jedoch sehr schwarz aus – hier konnte bisher keine Mehrheit für einen radikalen Wandel im Sinne der grünen Forderungen gewonnen werden.