Forum 5: Buen Vivir. Alternativen zum Wachstum am Beispiel Bolivien und Ecuador

Besser? Leben! Botschaft des indigenen Konzepts "Buen Vivir" ist ein Leben im Einklang mit der Natur und ein an qualitativen Maßstäben orientiertes Entwicklungsmodell. Doch wie können diese Ideen in die politische Praxis übersetzt werden? Und welche Ansatzpunkte gibt es außerhalb der Länder Bolivien und Ecuador, wo Buen Vivir bereits in den Verfassungen verankert wurde? Bei der grünen Lateinamerika-Konferenz diskutierte Ute Koczy, entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen mit der bolivianischen Botschafterin I.E. Elizabeth Salguero Carrillo, dem ecuadorianischen Botschafter S.E. Jorge Jurado und Dr. Thomas Fatheuer, dem ehemaligen Leiter des Brasilien-Büros und aktuell freiem Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung über diese Fragen.

Botschafterin Elizabeth Salguero Carrillo führte aus bolivianischer Sicht in das Konzept des Buen Vivir (in Bolivien heißt es "vivir bien") ein. In Bolivien werde Buen Vivir als Harmonievorstellung zwischen Mensch und Natur verstanden. Sie orientiert sich an Prinzipien wie Gerechtigkeit, Inklusion und Frieden und bietet eine Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftsmodell. "Besser leben bedeutet nicht auf Kosten von anderen zu leben, sondern "gut" zu leben", erläuterte Salguero Carrillo.

Jorge Jurado, Botschafter von Ecuador, Ute Koczy, MdB, Elizabeth Salguero Carrillo, Botschafterin des Plurinationalen Staates Bolivien

Botschafter Jorge Jurado machte darauf aufmerksam, dass die ecuadorianische Verfassung, in der "Buen Vivir" als Konzept verankert ist, von einer verfassungsgebenden Versammlung verabschiedet und in einem Referendum angenommen wurde. Jorge Jurado bezeichnete diesen Prozess als eine "BürgerInnenrevolution mit radikaldemokratischen Rechten für die Bevölkerung". Er regte an, den spanischen Begriff "Buen Vivir" mit dem deutschen Begriff von einem "Leben in Würde" zu übersetzen. Es gehe darum, Grundbedürfnisse innerhalb der Bevölkerung abzudecken, Chancengleichheit und Rechte für alle zu ermöglichen und Ungleichheit zu beenden.

Dr. Thomas Fatheuer nannte vier Ansatzpunkte, die auch über den lateinamerikanischen Kontext hinaus verwirklicht werden können: Das Konzept besetze die Debatte um die Grenzen des Wachstums mit einer positiven Alternative. Daher ermögliche es, über die häufig geführte Debatte über die Grenzen des konsumorientierten Lebensstils hinauszukommen. Zudem definiere Buen Vivir ein neues Verhältnis zur Natur. Das Konzept ermögliche außerdem die Formulierung alternativer Entwicklungskonzepte. Und letztendlich böte es praktische Ansatzpunkte für Verfassungen, um Naturrechte – analog zur Tierrechtsdebatte, wie sie in Deutschland geführt wurde – zu stärken.

Anschließend diskutierte das Publikum die Übertragbarkeit des Konzepts auf den deutschen und den europäischen Kontext: Eine Neudefinition des Verhältnisses zur Natur sei auch hier nötig. Dies könnte sich z.B. in politischen Forderungen für die internationale Klimapolitik niederschlagen. Anstatt marktbasierte Ansätze in der Klimapolitik zu verfolgen, seien rechtsbasierte Ansätze nötig. Darüber hinaus müsse auf dem Klimagipfel in Doha noch einmal darauf gedrungen werden, Höchstwerte für Emissionen festzusetzen und diese auch verpflichtend zu machen. Zur Durchsetzung sei die Stärkung des internationalen Klimagerichts notwendig.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig: Neue Bündnisse sind nötig. Zwischen dem so genannten globalen Norden und dem so genannten globalen Süden brauchen wir Zusammenarbeit, Meinungsaustausch und einen Dialog auf Augenhöhe. Jorge Jurado hob in seinem Abschlussstatement hervor, dass das Konzept eines "Lebens in Würde" von Europäerinnen und Europäern für sich definiert werden müsse; es könne nicht von außen an sie herangetragen werden.

Zwei wichtige Frage für zukünftige Diskussionen lauteten zum Schluss:

  • 1.      Wenn das Konzept des "Buen Vivir" ernst genommen wird, wie müsste dann die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit ausgestaltet werden?
  • 2.      Sind Bürgerinnen und Bürger bereit, auf Privilegien, die mit einem ressourcenintensiven Rohstoffmodell einhergehen, zu verzichten und damit einen Beitrag zum Leben in Einklang mit der Natur zu leisten?

Den Auftrag, dies weiter zu diskutieren, nehmen wir gerne mit.