Forum 1: Aufbruchstimmung im Königreich des Sojas? Sojaboom und nachhaltige ländliche Entwicklung, am Beispiel Argentinien und Paraguay

Die industrielle Fleischproduktion in Europa ist von billigen Soja-Importen aus Argentinien, Brasilien und Paraguay ebenso abhängig wie es die Soja-produzierenden Staaten von ihren Soja-Exporterlösen sind.

Harald Ebner stellte daher ins Zentrum des Forum 1 die Frage, wie diese wechselseitige Abhängigkeit zu einer für Mensch und Umwelt zukunftsfähigen Partnerschaft entwickelt werden kann.

Oscar Rivas und Juan Carlos Villalonga verdeutlichten in ihren Inputs noch einmal die untragbaren Folgen der Soja-Expansion für die betroffenen Menschen und Ökosysteme. Während Rivas auf die parallele Bedrohung durch gigantische Infrastrukturprojekte im Rahmen des „IRSE“-Plans hinwies, betonte Villalonga die Auswirkungen des Agrarexport-Plans von Argentiniens Präsidentin Kirchner, dem bis 2020 die Hälfte der Urwälder des Landes zum Opfer fallen könnten.

Oscar Rivas, Juan Carlos Villalonga, Michael Álvarez, Büroleiter Cono Sur Heinrich-Böll-Stiftung

Schnell wurde deutlich: ohne eine Änderung der „Nachfrage“ wird sich die „Sojaisierung“ (Villalonga) der Region nicht aufhalten lassen, auch weil sich Indigene, Campesinos und Naturschützer aufgrund schwacher Landrechtssysteme kaum mit juristischen Instrumenten gegen die Landnahme wehren können, wie Michael Alvarez-Kalverkamp vom Cono-Sur-Büro der Böll-Stiftung hervorhob.

Insbesondere die EU ist als wichtiger Soja-Importeur gefordert, zumal in den 90er Jahren die Soja-Produktion in Südamerika gezielt gefördert wurde. Stig Tanzmann von Brot für die Welt/Ev. Entwicklungsdienst wies auf die grundsätzliche Notwendigkeit einer Reduzierung der europäischen  Fleisch- und Milchproduktion hin. Die anstehende Reform der gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) müsse für entsprechende Korrekturen genutzt werden. Einig war sich Tanzmann mit seinem Podiumsnachbarn und Soja-Marktexperten Joachim Koester, dass ein kurzfristiger „Ausstieg“ aus den Soja-Importen für beide Seiten unrealistisch wäre, zumal mit China inzwischen ein alternativer Abnehmer für südamerikanische Soja bereit stünde. Vielmehr müsse eine „Qualifizierung“ der Importe erreicht werden, d. h. eine Umstellung von gentechnisch veränderter Soja auf zunächst GVO-freie und mittelfristig auf ökologisch produzierte und fair gehandelte Soja. 

In der Diskussion wurde schnell deutlich, wie komplex die zu bewältigenden Herausforderungen sind: Grundlegende agrarpolitische Veränderungen in der EU und in Lateinamerika, Änderungen traditioneller Ernährungs- und Konsumgewohnheiten, die Durchsetzung verbindlicher internationaler Standards für den Kauf von Agrarland, Durchsetzung von Biodiversitäts- und Waldschutz.

Aber es besteht auch Anlass zur Hoffnung: es mangelt nicht an den nötigen Konzepten und Vorbild-Projekten. Argentinien besitzt schon jetzt die zweitgrößten Ökolandbau-Flächen  der Welt, Paraguay verfügt über enormes agrarwissenschaftliches Know-how und Brasilien hat ein weltweit vorbildliches Konzept für den Ausbau einer gesunden Schulverpflegung auf Basis regional erzeugter Kleinbauern-Produkte realisiert. Und die großen Lebensmittelhändler in Deutschland haben sich in den letzten Monaten klar zu einer Umstellung auf gentechnikfreie Futtermittel bekannt.

Damit diese Ansätze Früchte tragen können, fasste Harald Ebner die Diskussion im Forum 1 mit Blick auf den EU-Lateinamerika-Gipfel in Santiago zu folgenden Kernforderungen zusammen:

1)      Fleischkonsum reduzieren, Agrar- und Ernährungswende einleiten!

Weniger und dafür qualitativ besseres Fleisch ist besser für die menschliche Gesundheit, bedeutet weniger Konkurrenz zwischen dem Anbau von Lebens- und Futtermitteln und ermöglicht eine artgerechte Tierhaltung. Die Verantwortung für entsprechende Initiativen liegt eindeutig bei den Regierungen der EU-Staaten.

2)      Nachfrage ändern: Gentech-freie Soja als Einstieg für bio & fair

Die heutige großflächige Soja-Produktion lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Aber der Umstieg von gentechnisch veränderter Soja auf gentechnikfrei erzeugte Soja bedeutet weniger Pestizideinsatz und weniger Druck auf die letzten verbliebenen Naturräume oder Kleinbauern-Flächen. Außerdem unterliegt gentechnikfreies Saatgut nicht dem Patentschutz und ist damit ein wichtiges Mittel gegen die fortschreitende Monopolisierung im Saatgutmarkt. Ist dieser erste Schritt von der Massen- zur Qualitätsproduktion erst einmal getan, können weitere folgen, z. B. die Umstellung auf Bio-Soja oder/und Fairen Handel.

3)      Agrarpolitik konsequent auf den ländlichen Raum und insbesondere kleine und mittlere Akteure ausrichten!

In Südamerika und Europa wird Agrarpolitik immer noch am Prinzip „wachse oder weiche“ ausgerichtet – zu Lasten einer ökologischen und bäuerlichen Landwirtschaft mit dynamischen regionalen Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen. Dabei spielt insbesondere die öffentliche Beschaffung eine wichtige Rolle als Vorbild und Wegbereiter, wie das Beispiel der Schulverpflegung in Brasilien zeigt.

4)      Forschungspolitik neu justieren: voneinander lernen – partizipative Forschung realisieren – Biodiversitäts-, Wasser- und Waldschutz berücksichtigen

Für ein Agrarmodell, das für Lateinamerika und Europa gleichermaßen attraktiv und zukunftsfähig ist, brauchen wir innovative Konzepte, die mit den Betroffenen gemeinsam entwickelt werden müssen. Dabei darf es jedoch nicht „nur“ um landwirtschaftliche Nutzflächen gehen, auch und gerade Gemeingüter wie Wälder, Artenvielfalt oder unbelastete Wasserläufe müssen wirksam vor Beeinträchtigungen geschützt werden!