WTO-Pleite

Vor sieben Jahren begann in Doha (Katar) die sogenannte "Entwicklungsrunde" der WTO. Sie hatte zum Ziel, Zölle und andere Handelsbarrieren bei Agrargütern, Dienstleistungen und Industrieprodukten weltweit abzubauen und vor allem die armen Länder zu stärken. Im Kern ging es um die Frage, wie weit die USA und die EU ihre Agrarsubventionen herunter fahren und die Schwellen- und Entwicklungsländer ihre Märkte im Gegenzug für Importe öffnen. Ein Übereinkommen konnte leider nicht erzielt werden. Verantwortlich für den Abbruch der Verhandlungen war ein Streit zwischen den  USA auf der einen sowie China und Indien auf der anderen Seite. Die Unterhändler dieser Länder konnten sich nicht über die Bedingungen für den Import von landwirtschaftlichen Produkten einigen.

Problematisch ist, dass die globale wirtschaftliche Integration vorerst nicht über multilaterale Vereinbarungen vorangebracht wird, sondern die Staaten nun verstärkt auf bilaterale und regionale Vereinbarungen setzen werden. Von diesen werden vor allem die stärkeren Handelspartner profitieren, nicht aber die schwächeren Entwicklungsländer. Zudem wird die Welthandelsorganisation als Schiedsrichter bei Streitigkeiten an Einfluss verlieren. Allerdings ist auch fraglich ob eine zum Erfolg geführte Handelsrunde für die Entwicklungs- und Schwellenländer eine nennenswerte Verbesserung gebracht hätte. Ein Abschluss der Doha-Entwicklungsrunde wäre nur dann sinnvoll gewesen, wenn die Perspektive für eine nachhaltige Entwicklung für alle Länder deutlich verbessert worden wäre. Doch zu den hierfür notwendigen Zugeständnissen waren insbesondere die Industrieländer nicht bereit.

Das Scheitern der Welthandelsrunde macht deutlich, dass die Machtverhältnisse in der WTO sich verändert haben. Während in den vergangenen  Handelsrunden die Industriestaaten weitgehend die Agenda bestimmt und ihre Interessen durchgesetzt haben, ist heute ohne die Zustimmung von aufstrebenden Staaten wie Indien und China eine Einigung nicht mehr möglich.

Schwellen- und Entwicklungsländer haben zum Ausdruck gebracht, dass sie vor dem Hintergrund hoher Rohstoffpreise und des verschärften globalen Hungerproblems dringend ausreichende Schutzmöglichkeiten für ihre Agrarproduktion brauchen. So haben sich China und Indien geweigert, ihre Agrarmärkte in dem Ausmaß zu öffnen wie es die Industrieländer von ihnen verlangt hatten. Indiens Handelsminister Kamal Nath sprach von 650 Millionen armen indischen Bauern, die vor hohen und billigen Agrarimporten geschützt werden müssen. In China liegt die Zahl mit 800 Millionen Kleinbauern sogar noch höher. Die Mehrheit der Entwicklungsländer in der Doha-Runde schloss sich der Forderung nach einem effektiven Schutzmechanismus für bestimmte Agrargüter an.

Die EU und USA haben bedauerlicherweise nicht den notwendigen politischen Willen aufgebracht, diese Welthandelshandelsrunde zu der versprochenen "Entwicklungsrunde" zu machen. Ihre Zugeständnisse reichten nicht aus und waren zum Teil doppelzüngig. So forderte beispielsweise die EU bei den Verhandlungen zu Industriegütern, die tatsächlich angewandten Zölle deutlich abzubauen. Sie war allerdings nicht bereit die besonders entwicklungsschädlichen Exportsubventionen für Agrarprodukte nennenswert zu reduzieren und wollte an den von den WTO festgeschriebenen Obergrenzen so lange wie möglich festhalten. Die USA agieren ähnlich scheinheilig bei den  handelsverzerrenden internen Subventionen für ihre Landwirtschaft: die von ihnen angebotene Obergrenze von 15 Milliarden US-Dollar ist doppelt so hoch wie die derzeitig tatsächlich gezahlten Unterstützungen.

Ein zentrales Problem der Verhandlungen bestand auch in dem Beharren auf Reziprozität: Für jede Einfuhrerleichterung wird sofort eine Gegenleistung verlangt. Wir fordern dagegen das schnelle Auslaufen aller handelsverzerrenden Agrarsubventionen der EU und USA.

In der gegenwärtigen Krise der WTO liegt vielleicht aber auch eine Chance: Während im Rahmen der festgefahrenen WTO-Verhandlungen allein die Liberalisierung des Welthandels auf der Tagesordnung steht, wird in anderen multilateralen Institutionen wie beispielsweise der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) oder der von VN-Generalsekretär Ban Ki Moon kürzlich ins Leben gerufenen Hunger-Task-Force verstärkt über die Notwendigkeit eines globalen Ressourcenmanagements diskutiert.

Die Mitgliedstaaten haben es verpasst, im Rahmen der Doha-Runde wichtige strukturpolitische Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Die Bekämpfung von Armut und Hunger kann nur erfolgreich sein, wenn die globalen Rahmenbedingungen wie der Welthandel entwicklungsfreundlich gestaltet werden. Eine WTO, die ökologische und soziale Fragen noch nicht einmal auf die Agenda setzt, sondern dem überholten Leitbild eines ungebremsten Freihandels unterordnet, ist unzeitgemäß. 

Die Welt braucht dringend multilaterale Institutionen, die tatsächlich in der Lage sind, auf Herausforderungen wie den Klimawandel, explodierende Rohstoffpreise und die Welternährungskrise angemessen zu reagieren.