Fragen und Antworten zur Welternährungskrise

Inhalt

Einleitung


Was sind die Ursachen für die weltweite Ernährungskrise?


Wie tragen veränderte Ernährungsgewohnheiten zur Hungerkrise bei?


Was hat der Klimawandel mit der Hungerkrise zu tun?


Welchen Einfluss haben die hohen Energiepreise auf die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise?


Ist Biosprit verantwortlich für die Preissteigerungen der Grundnahrungsmittel?


Welchen Anteil hat Marktliberalisierung an der Hungerkrise?


Welche Rolle spielen Spekulanten in dieser Hungerkrise?


Welche Rolle spielen Nahrungsmittelkonzerne?


Wer ist von der Hungerkrise am meisten betroffen?


Führt die Hungerkrise zu politischer Instabilität?


Wie sieht eine reformierte Landwirtschaft aus, die zur Lösung der Hungerkrise beiträgt?


Welche Bedeutung hat der Erhalt der biologischen Vielfalt?


Können wir die Nahrungsmittelkrise lösen, indem wir die Landwirtschaft intensivieren und Gentechnik einsetzen?


Was kann die internationale Gemeinschaft tun?


Welche Rolle spielt Nahrungsmittelhilfe bei der aktuellen Hungerkrise?


Vor welchen Herausforderungen stehen die Regierungen der betroffenen Länder?


Sind die hohen Agrarpreise nicht auch eine Chance für die Entwicklungsländer?


Einleitung

Die Preise für Nahrungsmittel sind in den vergangenen Monaten dramatisch angestiegen: Laut der Welternährungsorganisation (FAO) ist beispielsweise der Preis für das Grundnahrungsmittel Reis allein in den vergangenen zwei Monaten um 75 Prozent gestiegen; der Preis für Weizen im vergangenen Jahr sogar um 120 Prozent.  Diese Entwicklung hat verheerende Folgen für die Verbraucher in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen warnt vor einer Hungersnot mit dem Ausmaß eines "stillen Tsunamis". Auch die Weltbank geht davon aus, dass weitere 100 Millionen Menschen in den Hunger getrieben werden. Die internationale Gemeinschaft entfernt sich damit immer weiter von ihrem Ziel, bis zum Jahr 2015 die Zahl von 850 Millionen hungernden Menschen auf der Welt zu halbieren.

Wir müssen uns klar darüber sein, dass die aktuelle Nahrungsmittelkrise kein plötzliches Ereignis ist, sondern das Ergebnis eines langen, fehlgeleiteten Entwicklungsprozesses, einer Agrar- und Handelspolitik, von der im Wesentlichen die Industrieländer profitiert haben. Parallel dazu haben massive Versäumnisse bei der Förderung der Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern die Situation verschärft. Wir Grünen fordern seit Jahren eine gerechtere Handelspolitik, mehr Geld für die ländliche Entwicklung in der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung.

An dieser Stelle beschreiben wir genauer, womit die Steigerung der Nahrungsmittelpreise zusammenhängt und welche politischen Reaktionen aus grüner Sicht notwendig sind, um die weltweite Ernährungskrise zu entschärfen. 

Was sind die Ursachen für die weltweite Ernährungskrise?

Einfache Erklärungen für die Armutsgeißeln Hunger und Unterernährung gibt es nicht. Vielmehr tragen eine Fülle von Faktoren zum Problem bei. In den meisten vom Hunger betroffenen Ländern ist die kleinbäuerliche Landwirtschaft – besonders der Anbau von Grundnahrungsmitteln – vernachlässigt bzw. durch Marktliberalisierung und hoch subventionierte Dumping-Importe zerstört worden. Auch die – oft von einer falschen "Entwicklungspolitik" unterstützte – einseitige Ausrichtung der Landwirtschaft auf den Anbau weniger Cash-Crops wie Futtermittel, Kaffee oder Tabak für das Exportgeschäft (überwiegend auf Plantagen von Großinvestoren) hat zur Verdrängung von KleinbäuerInnen und einem Rückgang des Anbaus von Grundnahrungsmitteln für lokale und regionale Märkte geführt. Obwohl sie das Potenzial hätten, sich selbst zu versorgen, sind inzwischen viele Entwicklungsländer von Nahrungsmittelimporten abhängig. Deshalb trifft sie der gegenwärtige Anstieg der Nahrungsmittelpreise besonders hart.

Zu den dramatischen Preisanstiegen hat vor allem die wachsende Nachfrage nach Fleisch in den aufstrebenden Schwellenländern China und Indien beigetragen, wobei allerdings die Industrieländer nach wie vor den Löwenanteil an Flächenverbrauch durch Futtermittel für Massentierhaltung verursachen. Aber auch die zunehmende Nutzung von Biomasse für die Energiegewinnung (vor allem zur Erzeugung von Agrotreibstoffen) schlägt sich bereits in den Nahrungsmittelpreisen nieder. Der größere Nachfragedruck – auch aufgrund des Bevölkerungswachstums – fiel in einigen Regionen mit Ernteausfällen auf Grund von extremen Wetterereignissen zusammen. Einige Beobachter interpretieren diese bereits als Vorboten des Klimawandels.

Andererseits hat das Ausbleiben überfälliger Landreformen zur absurden Situation geführt, dass in vielen Entwicklungsländern riesige Flächen von Großgrundbesitzern brach liegen während die Nahrungsmittelpreise immer weiter in die Höhe klettern. Auch der immens gestiegene Ölpreis trägt stark zu einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise bei.

Wie tragen veränderte Ernährungsgewohnheiten zur Hungerkrise bei?

In den vergangenen Jahrzehnten ist der weltweite Getreideverbrauch kontinuierlich gewachsen. Zudem haben sich in vielen Regionen der Welt die Ernährungsgewohnheiten grundlegend verändert. Weizen, Mais und Reis haben traditionelle Getreidesorten und Knollengewächse ersetzt. Aufgrund des wachsenden Durchschnittseinkommens in vielen Schwellenländern ist der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch, Eiern und Milchprodukten stark angestiegen. Diese Entwicklungen haben zur Folge, dass mehr Flächen als jemals zuvor industriell und mit Monokulturen bewirtschaftet werden. Etwa dreißig Prozent dieser Flächen dienen inzwischen dem Anbau von Futtermitteln, vor allem Sojabohnen. Die Nachfrage nach Fleisch hat einen Multiplikatoreneffekt auf die Preise von Futtermitteln, Wasser und Land. Zwar schlagen diese Entwicklungen sich eher mittel- als kurzfristig im Preis nieder. Sie werden in Zukunft bei den Lebensmittelpreisen aber eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Den enormen Ressourcenverbrauch der Fleischproduktion verdeutlichen folgende Zahlen: Für die Produktion von einem Kilogramm Fleisch werden je nach Fleischart 7-16 Kilogramm Getreide oder andere pflanzliche Produkte sowie 10 000 -13 000 Liter Wasser benötigt. Um ein Kilogramm Getreide zu erzeugen, braucht man – je nach Boden – 400 bis 1000 Liter Wasser. Auf der Fläche, die man zur Erzeugung eines einzigen Kilos Fleisch braucht, könnte man im selben Zeitraum 200 Kilogramm Tomaten, 160 Kilogramm Kartoffeln oder 120 Kilogramm Karotten ernten. Während für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch 323 Quadratmeter Land verbraucht werden, sind es für die gleiche Menge Reis nur 17 Quadratmeter.

Was hat der Klimawandel mit der Hungerkrise zu tun?

Im Laufe des vergangenen Jahres ist es bei einigen wichtigen Getreidesorten zu witterungsbedingten Ernteeinbrüchen gekommen, z.B. durch Wirbelstürme und Flutkatastrophen im südlichen Afrika oder durch Dürre und Frost in großen Anbauländern wie Australien und den USA. Auf regionaler und lokaler Ebene können durch Extrem-Wetterereignisse bedingte Ernteverluste verheerende Folgen haben. Denn in vielen Entwicklungsländern sind lokale Anbaupflanzen wie Maniok, Yam und Süßkartoffeln eine wichtige Ergänzung zu importiertem Getreide wie Weizen und Reis. Durch Ernteeinbrüche bei diesen Nutzpflanzen sind Menschen in diesen Ländern noch abhängiger von importierten, international gehandelten Getreidesorten. Und damit sind sie auch schutzlos dem enormen Preisanstieg ausgeliefert.

Man schätzt, dass auch in den kommenden Jahrzehnten die globale Gesamtproduktion von Grundnahrungsmitteln mit dem Klimawandel nur sehr wenig zurückgehen wird. Regional jedoch werden erhebliche Veränderungen erwartet. Es gilt als wahrscheinlich, dass in Afrika die landwirtschaftlichen Nutzflächen zurückgehen und Trockenheit und Wassermangel zu drastischen Ernteeinbrüchen führen werden. Damit würde sich die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Nahrungsmittelimporten weiter verschärfen. In Europa könnte dagegen der Temperaturanstieg sogar zu Steigerung der Ernten führen. Aber auch hier werden auf Grund zunehmender extremer Wetterereignisse wie Starkregenfällen oder trockenen Sommern die Erträge über die Jahre gesehen weniger sicher ausfallen.

Welchen Einfluss haben die hohen Energiepreise auf die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise?

Die Ölpreise haben zwischenzeitlich einen Rekordstand von 125 US$ pro Barrel erreicht. Das wirkt sich auch auf die Nahrungsmittelpreise aus, denn die Preise für Energie und landwirtschaftliche Produkte sind stärker denn je miteinander verknüpft. Hohe Energiepreise verteuern die Agrarproduktion, indem sie die Kosten für Mineraldünger, Bewässerungssysteme, Pflanzenschutz und den Transport von Betriebsmitteln und Erzeugnissen nach oben treiben. Höhere Ölpreise machen auch die Nutzung von Biomasse – zum Beispiel von Mais – für die Spritproduktion attraktiver.

Ist Biosprit  verantwortlich für die Preissteigerungen der Grundnahrungsmittel?

Grundsätzlich gilt für uns: Die Bekämpfung des Hungers hat Vorrang vor der Produktion von Biosprit. Wir müssen allerdings genauer hinschauen als dies aktuell geschieht, ob und unter welchen Bedingungen die Nachfrage nach Biosprit die Preise von Grundnahrungsmitteln beeinflusst. In der aktuellen Diskussion wird die wachsende Nachfrage nach Biosprit häufig als einer der Hauptfaktoren für die steigenden Nahrungsmittelpreise genannt. Tatsächlich werden bisher aber nur 1,9 Prozent der globalen Ackerfläche für den Anbau von Energiepflanzen verwendet. Das heißt, die Szenarien der Flächenkonkurrenz zwischen dem Anbau von Energiepflanzen und dem Anbau von Nahrungsmitteln entsprechen bei einer globalen Betrachtung (noch) nicht der Realität. Gleichwohl wirkt sich die Tatsache, dass rund ein Drittel der amerikanischen Maisproduktion in die Ethanolproduktion geht, auf die Preise für Mais in Mittelamerika aus.

Zudem beeinflussen die hohen Erwartungen einer erhöhten Nutzung von Biotreibstoffen die gegenwärtige Nahrungsmittelkrise, z.B. in dem sie Bodenspekulationen anheizen oder auch spekulative Effekte an den Rohstoffbörsen bewirken. Sollte eine wachsende Flächenkonkurrenz zur Verschärfung des Hungers führen, müssen wir Korrekturen in der Biotreibstoff-Politik vornehmen. Das bedeutet zunächst einmal, dass wir die Biosprit-Ziele der Europäischen Union überprüfen müssen: Bei deren Umsetzung muss sichergestellt sein, dass nicht zur Verschärfung des Hungers beigetragen wird.

Die Schaffung eines Zertifizierungssystems, das verbindliche ökologische und soziale Standards für den Anbau von Energiepflanzen und die Produktion von Biosprit festlegt, ist notwendig. Sie reicht aber nicht aus, um auch die Ausweicheffekte zu erfassen. Es muss auch verhindert werden, dass es zu sogenannten Ausweicheffekten kommt, bei denen auf Flächen, auf denen zuvor beispielsweise Futtermittel angebaut wurde, Zuckerohr gepflanzt wird, während der Futtermittelanbau in Urwaldgebiete verlagert wird. Die internationale Gemeinschaft kommt daher nicht darum herum, die ganze Politik von Ländern, die Energiepflanzen oder Biosprit exportieren wollen, anhand von Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien unter die Lupe zu nehmen: Gibt es nationale Flächennutzungspläne und Ressourcenmanagement? Sind diese nationalen Maßnahmen an internationalen Abkommen zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung und zum Erhalt der biologischen Vielfalt ausgerichtet? Oder geht die energetische Nutzung von Biomasse einher mit Raubbau an der Natur und Verletzung von elementaren Menschenrechten?

Welchen Anteil hat Marktliberalisierung an der Hungerkrise?

Bis in die 80er Jahre hinein hatten viele Entwicklungsländer, ähnlich wie die EU noch heute, Agrarmärkte, die nach außen hin abgeschottet waren. Die Preise für wichtige Grundnahrungsmittel wurden vom Staat festgelegt und auf importierte Nahrungsmittel wurden Zölle erhoben. Lagerhaltung sorgte für strategische Nahrungsmittelreserven, die dazu beitrugen, Preisschwankungen auszugleichen. Dieses System war nicht ohne Fehler. Verschiedene Gründe trugen dazu bei, stets größere Löcher in die öffentlichen Kassen der Entwicklungsländer zu reißen: Die Verschlechterung der Weltmarktpreise für Agrarerzeugnisse sowie die mangelhafte Führung der öffentlichen Finanzen und Institutionen; die sich verschärfende Schuldenkrise und inflationäre Ausgabenpolitik. Jedoch sorgten die staatlichen Preisgarantien und Importzölle auch dafür, dass Nahrungsmittel für die Armen erschwinglich blieben und dass Kleinerzeuger die Bevölkerung teilweise vollständig mit lokal angebauten Grundnahrungsmitteln versorgen konnten.

Im Rahmen der allgemeinen Trendwende hin zur Marktliberalisierung wurden diese Systeme jedoch nicht reformiert, sondern innerhalb kurzer Zeit meist vollständig abgebaut. Der Import billig produzierter und subventionierter Nahrungsmittel aus der EU, den USA und Asien drückt zwar kurzfristig oftmals die Preise für die städtische Bevölkerung herunter. Die Versorgung mit lokal angebauten Grundnahrungsmitteln wurde jedoch zerstört, weil lokale Bäuerinnen und Bauern nicht mehr gegen die Importfluten konkurrieren konnten. Damit wurde der Grundstein für die hohe Abhängigkeit einzelner Länder vom Import wichtiger Grundnahrungsmittel gelegt. Das westafrikanische Land Senegal zum Beispiel importiert heute ungefähr 80 Prozent des im Lande konsumierten Reises. Damit ist die Bevölkerung heute dem enormen Anstieg des Reispreises schutzlos ausgeliefert. Der Regierung fehlen nunmehr die wirtschaftspolitischen Instrumente, um dem Preisschock auf nationaler Ebene zu entgegnen.

Welche Rolle spielen Spekulanten in dieser Hungerkrise?

Bisher fand der Handel mit Agrarrohstoffen an den so genannten Terminwarenbörsen vor allem zwischen Getreidehändlern, Silo- und Mühlenbetreibern und Tierfutterherstellern statt. Seit vorigem Sommer engagieren sich zunehmend auch Investmentbanken, Pensions- und Hedgefonds – die auf kurzfristigen Gewinn setzen und hohe Summen in die Agrarrohstoffmärkte leiten. Nach der Krise des amerikanischen Hypothekenmarktes suchen die Spekulanten nach neuen Anlagemöglichkeiten. An Terminbörsen wie dem Chicago Board of Trade wetten sie mit Futures und Optionen auf steigende Nahrungsmittel- und Ackerlandpreise. 

Noch können Ökonomen nicht genau sagen, wie spekulative Warentermingeschäfte den Markt tatsächlich beeinflusst haben. Es ist aber davon auszugehen, dass die (spekulativen) Finanzinvestitionen im Bereich der Agrarrohstoffe nur Verstärker und nicht Verursacher der jüngsten Preissteigerungen sind. Finanzinvestitionen können zu einem Überschießen der Preisbewegung über den durch die tatsächlichen Angebots- und Nachfragebedingungen gerechtfertigten Preis führen. Trotzdem: Die Spekulanten als "Hauptverursacher" der aktuellen Nahrungsmittelkrise zu verdammen  geht an der Realität vorbei.

Welche Rolle spielen Nahrungsmittelkonzerne?

Die Konzentration der Nahrungsmittelkonzerne und des Lebensmittelhandels nimmt weltweit stetig zu. Unternehmen wie Nestlé oder Wal Mart sind zu globalen Playern geworden, die mit ihrer Unternehmenspolitik großen Einfluss auch auf die Landwirtschaft nehmen. Bäuerliche Betriebe sind für Großstrukturen auf der Abnehmerseite keine interessanten Partner: die Erfassung ist zu aufwendig, die Qualität zu unterschiedlich, die Verhandlungen zu kompliziert. Darum werden auch auf Erzeugerseite Großstrukturen wie Plantagen bevorzugt und gefördert. Bei Preisverhandlungen sind die Großabnehmer ebenfalls im Vorteil und setzen ihre Vorstellungen durch. Ob die Landwirte von dem erzielten Gewinn tatsächlich noch kostendeckend wirtschaften können, spielt selten eine Rolle. Die Existenzfähigkeit von bäuerlichen Strukturen gerät zunehmend unter Druck. Ein Lösungsansatz liegt in der Bildung von Erzeugergemeinschaften, die die Verhandlungsmacht des einzelnen Landwirts verbessern. Auch muss der faire Handel weiter ausgebaut werden: Indem wir Produkte kaufen, bei deren Produktion ein gerechter Lohn gezahlt und die Umwelt geschont wurde,  können auch wir Konsumentinnen und Konsumenten zum Kampf gegen den Hunger beitragen.

Wer ist von der Hungerkrise am meisten betroffen?

Am stärksten sind die armen Bewohnerinnen und Bewohner von Städten und ländlichen Gebieten in den Entwicklungs- und Schwellenländern betroffen. Für diese Menschen ist der tägliche Überlebenskampf nun noch härter geworden. Für die Gruppe der Extrem-Armen ist die Lage besonders desolat Diese Gruppe, die über 150 Millionen Menschen vor allem in Afrika und Südasien umfasst, fristen ihr Überleben mit weniger als 50 US Cent pro Tag. Steigende Preise in den Supermärkten hierzulande zehren bei den meisten von uns nur wenig am Geldbeutel. Denn in Europa dienen im Schnitt nur etwa 7 Prozent des Einkommens dem Kauf von Lebensmitteln. In Ländern wie Bangladesch oder Mali müssen dagegen bis zu 80 Prozent des Einkommens für die Ernährung aufgebracht werden. Eine für uns geringfügige Preissteigerung sprengt in diesen Ländern die Haushaltskasse. In der Folge streichen Familien Mahlzeiten vollständig oder beschränken sich auf  Magen füllende und vitaminarme Kost. Ausgaben für Schule und Gesundheit, die nicht unmittelbar für das Überleben wichtig sind, werden zurückgefahren. Kleine Fortschritte, die im Land im Kampf gegen Armut gemacht wurden, werden so in kürzester Zeit zunichte gemacht.

Führt die Hungerkrise zu politischer Instabilität?

Jahrelang haben 850 Millionen Menschen gehungert, ohne dass die Stabilität von Staaten gefährdet war oder Weltpolitik davon fundamental beeinflusst worden ist. Seit  Monaten mehren sich nun rund um den Erdball die Nachrichten über Krawalle, Proteste und Plünderungen in Folge der Preissteigerungen. Einige Menschen sind bei diesen Protesten bereits umgekommen. Die Hungerkrise bedeutet ganz klar auch eine Gefährdung der politischen Sicherheit: In Haiti wurde die Regierung gestürzt. Weltbankpräsident Robert Zoellick geht davon aus, dass es in etwa 33 Ländern zu sozialen Unruhen und Gewaltausbrüchen kommen kann. Anders als bisherige Ernährungskrisen beschränkt sich diese nicht mehr auf die arme Landbevölkerung, sondern reicht bis in die Mittelschichten in den Städten. Damit betrifft die Krise Menschen, die politisch interessiert und teilweise sogar organisiert sind. Sie gehen in den Städten auf die Straße, um gegen den Hunger und die Perspektivlosigkeit ihrer Zukunft zu protestieren.

Wie sieht eine reformierte Landwirtschaft aus, die zur Lösung der Hungerkrise beiträgt?

Landwirtschaft ist viel mehr als nur die Produktion von Nahrungsmitteln für den Verkauf oder den eigenen Verbrauch. Landwirtschaft ist überall in ein gesellschaftliches und ökologisches System eingebunden – bei uns in Deutschland und ganz besonders in den Entwicklungsländern. In den meisten dieser Länder betreiben zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung Landwirtschaft. Zum einen hängt ihr Überleben vom Ackerbau ab. Zum anderen bestehen äußerst komplexe Zusammenhänge zwischen dem Ackerbau und anderen Lebensbereichen. Die Produktion von Nahrungsmitteln ist das Fundament für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in ländlichen Gebieten. Wenn diese Systeme intakt und gesund sind, können Landwirtschaft und ländliche Kultur einen unschätzbaren Beitrag zur Bekämpfung von Armut und Landflucht leisten. Gerade erst hat der Weltagrarbericht IAASTD die enormen Vorteile einer kleinbäuerlichen, Ressourcen schonenden Landwirtschaft gegenüber einer intensivierten Landwirtschaft aufgezeigt. Eine Ausrichtung von landwirtschaftlichem Wissen, Technik und Wissenschaft in Richtung Agrarökologie wird dazu beitragen, Umweltprobleme anzugehen und gleichzeitig die Produktivität zu erhöhen.

Wenn von staatlicher Politik kleinbäuerliche Landwirtschaft nicht als Teil des Hungerproblems sondern als Lösung verstanden wird, dann ist sie effizienter und nachhaltiger als Plantagenwirtschaft oder andere Formen industrieller Großproduktion. Dafür darf Bauern und Bäuerinnen der Zugang zu ihrem Land nicht verwehrt werden. Staatliche und private Institutionen müssen KleinbäuerInnen stützen und durch Kredite, angepasste Technologien und Investitionen in den ländlichen Raum stärken. Die Forschung im Bereich der nachhaltigen, bäuerlichen Landwirtschaft muss deutlich ausgebaut und die Ergebnisse für jedermann nutzbar gemacht werden. Gesundheit und Bildung müssen im ländlichen Raum voran gebracht werden. Und insbesondere muss die kleinbäuerliche Produktion lokaler Nahrungsmittel für den eigenen Markt gefördert und geschützt werden.

Welche Bedeutung hat der Erhalt der biologischen Vielfalt?

Der rapide Verlust der Biodiversität und der Klimawandel sind die größten ökologischen Herausforderungen in der Geschichte der Menschheit und eng miteinander verbunden. In den vergangenen 100 Jahren hat der Mensch so stark in die Natur eingegriffen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt immer rasanter voranschreitet. Die aktuelle Rate des globalen Artensterbens übersteigt die veranschlagte natürliche Sterberate um das hundert- bis tausendfache. Täglich sterben fast 150 Arten aus, ohne dass wir genau wissen, welche Folgen dies für das gesamte Ökosystem hat. Auch die Agrobiodiversität ist weltweit in Besorgnis erregendem Maße gefährdet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden circa 7 000 Kulturpflanzenarten angebaut. Heute basiert die Welternährung zu einem Großteil auf nur noch zehn Kulturpflanzenarten. Die Fruchtfolgen konzentrieren sich auf immer weniger Kulturarten und wenige ertragsstarke Sorten. Diese Entwicklung ist eine Folge der zunehmenden Intensivierung der Landwirtschaft.

Dieser Verlust von Agrobiodiversität gefährdet die Stabilität der Agrarwirtschaft und die Ernährungssicherheit weltweit. Die genetische Vielfalt von agrarisch genutzten Arten stellt eine Absicherung gegen Missernten und Schädlings- oder Krankheitsanfälligkeit dar. KleinbäuerInnen in der ganzen Welt können mit den regional angepassten Sorten die besten und sichersten Erträge erzielen. Mit eigener Zuchtarbeit können sie ihr Saatgut an sich wandelnde Anbaubedingungen anpassen.

Eine Welternährung, die nur noch auf wenigen Rassen und Arten mit stark eingeschränktem Sortenspektrum beruht, kann den Ausfall einzelner Arten, Sorten oder Rassen kaum verkraften und ausgleichen. Durch eine Einschränkung der innerartlichen Vielfalt geht das natürliche Reservoir an Genen verloren, was die Anpassung an unvorhergesehene Krankheitsgefahren, an sich verändernde Umweltbedingungen wie den Klimawandel oder an neues Wissen über Ernährungserfordernisse wesentlich erschwert. Der Erhalt der biologischen Vielfalt ist darum eine wichtige Voraussetzung, um die Ernährungssicherung weltweit und dauerhaft zu gewährleisten.  

Können wir die Nahrungsmittelkrise lösen, indem wir die Landwirtschaft intensivieren und Gentechnik einsetzen?

Eine ungehemmte Intensivierung der Landwirtschaft bietet keinen Ausweg aus der Krise. Ständig wachsender Technik-, Energie-, Pestizid- und Düngemitteleinsatz ist für die armen Landwirte in den Entwicklungsländern zu teuer. Darüber hinaus verursacht eine solche Intensivierung der Landwirtschaft schwere ökologische Schäden, die langfristig die Welternährung erst recht bedrohen. Außerdem taugen die Anbaurezepte der reichen Böden Amerikas oder Europas auf kargen Böden Afrikas noch lange nicht. Die Strategie der Gentech- und Saatgutmultis, die Welt mit Agrogentechnik und patentiertem Hochleistungssaatgut zu überziehen, ist falsch: Sie führt nur zu Enteignung und Verlust von Unabhängigkeit und birgt enorme Gefahren für die biologische Vielfalt in Landwirtschaft und Natur.

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des deutschen Bundestages hat gerade in einer Studie festgestellt, dass sich Ertragssteigerungen und höherer wirtschaftlicher Nutzen durch den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut nicht nachweisen lassen. Bis heute werden lediglich gentechnisch veränderte Pflanzen kommerziell vermarktet, die Resistenzen gegen firmeneigene Unkrautvernichtungsmittel bzw. gegen bestimmte Insekten haben. Beide sind für den Intensivanbau gedacht und bringen in kleinbäuerlichen Strukturen keinerlei Nutzen. Trotz Jahrzehnte langer Forschung mit Unsummen von öffentlichen Fördermitteln gibt es keine trockenheitsresistenten oder salztoleranten Gentech-Pflanzen.

Der Vorschlag von Bundesagrarminister Horst Seehofer, eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft zu fördern und brachliegende Flächen in der Europäischen Union wieder zu nutzen, wird nicht das Hungerproblem in afrikanischen und asiatischen Staaten lösen. Es kommt darauf an, nachhaltige Landwirtschaft in den Ländern zu fördern und zu unterstützen, in denen Hunger herrscht. Der Weltagrarrat IAASTD warnt eindringlich davor, die Hungerproblematik mit industriellen Mitteln wie der Agro-Gentechnik anzugehen. Zwar habe die moderne Landwirtschaft eine signifikante Steigerung der Nahrungsmittelproduktion gebracht. Der Fortschritt sei jedoch in vielen Fällen mit hohen sozialen und ökologischen Folgekosten einhergegangen, die KleinbäuerInnen, ländliche Regionen und die Umwelt zu tragen hätten. Der Bericht zeigt alternative Wege für eine nachhaltige und an die örtlichen Gegebenheiten angepasste Landwirtschaft auf, die mit unseren grünen Politikansätzen in der Agrarpolitik übereinstimmen.

Was kann die internationale Gemeinschaft tun?

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit fordern wir eine Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft vor Ort, die auch traditionelle Produktionsmethoden unterstützt. Hierfür muss sich der Fokus der bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit wieder verstärkt auf die Förderung der ländlichen Entwicklung richten. Nur 3,1 Prozent der Mittel für die bilaterale deutsche Entwicklungszusammenarbeit gehen direkt in den ländlichen Sektor und kommen direkt KleinbäuerInnen zugute, die Grundnahrungsmittel anbauen, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind falsche Strategien gefahren worden. Gleiches gilt für die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken. Sie sollten mit Bezug zu den erwähnten Zielgruppen ihre Instrumente weiterentwickeln und die Mittel für die ländliche Entwicklung aufstocken. Wir begrüßen das deutliche Bekenntnis des Weltentwicklungsberichts 2008 sowie die Zusage der Weltbank, ihre Programme im Agrarbereich in Afrika von 450 Millionen US$ auf 800 Millionen US$ zu verdoppeln. Für eine wirksame Bekämpfung von Armut und Hunger brauchen wir eine nachhaltige Produktion von Grundnahrungsmitteln für lokale und regionale Märkte und die Förderung von KleinbäuerInnen. Eine neue Übereinkunft "New Deal for Global Food Policy"- wie ihn die Weltbank fordert - darf sich daher nicht nur auf eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und die Unterstützung von Agrarexporten konzentrieren.

Darüber hinaus ist dringend eine neue globale Handelspolitik erforderlich. Als erstes müssen Agrarexportsubventionen abgeschafft werden. Sie schädigen Bauern und Bäuerinnen in Entwicklungsländern, zerstören deren Märkte, stellen eine Verschwendung von Steuermitteln dar und lassen Großproduzenten in Europa und den USA von den Subventionen überproportional profitieren. Zur Etablierung eines fairen Agrarhandels müssen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien mittelfristig für den gesamten Agrarsektor auf internationaler Ebene entwickelt und Bestandteil der WTO-Vereinbarungen werden. Internationale Institutionen wie die Welternährungsorganisation (FAO) sowie das Umwelt- und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen sind dazu aufgerufen, sich mit Nachdruck an der Entwicklung solcher Kriterien zu beteiligen. Dabei muss das "Menschenrecht auf Nahrung" oberste Priorität haben.

Welche Rolle spielt Nahrungsmittelhilfe bei der aktuellen Hungerkrise?

Nahrungsmittelhilfe ist keine Strategie, um das Hungerproblem zu lösen und sie wird auch nicht als solche von dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) oder Nichtregierungsorganisationen eingesetzt. Nahrungsmittelhilfe leistet humanitäre Nothilfe für diejenigen, die am schlimmsten vom Hunger betroffen sind und ohne diese Form der Hilfe von außen nicht überleben könnten. Hierzu zählen insbesondere Menschen, die in Konfliktländern leben, in denen Bürgerkrieg und korrupte Regierungen herrschen. Aufgrund der gestiegen Nahrungsmittel- und Transportpreise stehen die Organisationen, die Nahrungsmittelhilfe leisten, momentan vor einer gewaltigen Herausforderung. Sie brauchen dringend mehr Geld, um ihre bestehenden Programme weiter finanzieren zu können. Wir begrüßen daher die zusätzlichen Zusagen der Bundesregierung und der Europäischen Union an das Welternährungsprogramm sowie die Einsetzung eines Krisenstabs der Vereinten Nationen, der die weltweite Lebensmittelkrise in den Griff bekommen soll.   Nahrungsmittelhilfe kann kurzfristig das Leiden der Hungernden mildern; mittel- und langfristig bedarf es aber anderer Instrumente, um Ernährungssouveränität herzustellen. Auf Initiative von Bündnis90/Die Grünen hat der Bundestag im März einen interfraktionellen Antrag für eine neue Nahrungsmittelhilfekonvention verabschiedet. Wir fordern eine bedarfsorientierte, effiziente Nahrungsmittelhilfe, die eng verknüpft ist mir langfristigen Ernährungssicherungsstrategien.

Vor welchen Herausforderungen stehen die Regierungen der betroffenen Länder?

Kurzfristig kommt es darauf an, dass die hungernden Menschen so schnell wie möglich in die Lage versetzt werden, sich ihr tägliches Brot wieder leisten zu können. Die Regierungen der betroffen Länder müssen hierfür zügig Beschäftigungsprogramme (z.B. Food-for-Work) und zusätzliche Sozialhilfe bereitstellen. Mittel- und langfristig sind die Regierungen der Entwicklungsländer dazu aufgefordert, endlich mehr in ihre nachhaltige ländliche Entwicklung zu investieren. Dazu zählt nicht nur die Unterstützung von KleinbäuerInnen in Form von Krediten, angepassten Technologien und Infrastruktur, sondern auch die  allgemeine Förderung von Gesundheit und Bildung im ländlichen Raum. Die afrikanischen Länder haben sich verpflichtet, mindestens 10 Prozent ihrer Haushalte in diesen Bereich zu investieren. Dieses Versprechen gilt es jetzt umzusetzen.

Gegenwärtig reagieren viele Länder (wie z.B. Indien, Kambodscha, Vietnam, Ägypten, China, Mexiko und Thailand) mit Exportstops und Preiskontrollen von Grundnahrungsmitteln. Diese protektionistischen Maßnahmen führen zu weiteren Verknappungen auf dem Weltmarkt. Zudem setzen diese Maßnahmen auch falsche Ansätze für die lokalen und regionalen Lebensmittelproduzenten, die so nicht von den hohen Weltmarktpreisen profitieren können. Gezielte Transfers und Nahrungsmittelsubventionen für die Ärmsten sind nach Ansicht der meisten Beobachter erfolgversprechender.

Sind die hohen Agrarpreise nicht auch eine Chance für die Entwicklungsländer?

Viele Jahre lang wurden die niedrigen Weltmarktpreise für Agrarprodukte als eine wesentliche Ursache für die strukturellen Probleme der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern gesehen. Nun sind die Preise gestiegen, was Ökonomen dazu veranlasst, langfristig sehr positive Folgen für die Landwirtschaft zu prognostizieren. Für die KleinbäuerInnen in den Entwicklungsländern erwachsen daraus langfristig aber nur dann Vorteile, wenn sich die Rahmenbedingungen grundlegend verändern. Dies wurde auch vom Generalsekretär der FAO, Jacques Diouf, bekräftigt. Transport- Vermarktungs- und Lagerungskapazitäten für eingefahrene Ernten müssen ausgebaut werden. Die Infrastruktur im ländlichen Raum muss verbessert, eine effiziente, nachhaltige, an den Menschenrechten orientierte Nutzung von Wasser und Boden durchgesetzt werden. Letztendlich müssen sich ärmere Länder, die vermehrt in die landwirtschaftliche Produktion investieren, auch vor unfairer Konkurrenz (z.B. Importen zu Dumpingpreisen) schützen können. Man wird daher im internationalen Agrarhandel nicht umhin kommen,  Entwicklungsländern mehr Möglichkeiten zuzugestehen, ihren Agrarsektor zu schützen anstatt sie zu immer weitergehender Marktliberalisierung zu drängen.