Antrag zu Nepal: Menschenrechte schützen und Gewalt beenden

Deutscher Bundestag                                                         Drucksache 15/4397
15. Wahlperiode

Antrag
der Abgeordneten Rudolf Bindig, Lilo Friedrich, Angelika Graf, Bärbel Kofler, Karin Kortmann, Volker Neumann (Bramsche), Christoph Strässer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter) und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Christa Nickels, Thilo Hoppe und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen

Nepal: Menschenrechte schützen und Gewalt beenden

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

I. Im Königreich Nepal, das seit 1990 eine konstitutionelle Monarchie ist, haben gewaltsame Auseinandersetzungen und die Verletzung der Menschenrechte ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Die gegenwärtige Lage ist das Ergebnis des jahrelangen bewaffneten Kampfes der Communist Party of Nepal (CPN-Maoist) gegen die Regierung. Ende 2001 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Seitdem hat sich die Staatskrise kontinuierlich zugespitzt. Leidtragend ist insbesondere die Zivilbevölkerung, die nicht nur ein Leben in extremer Armut fristet, sondern auch noch politisch und militärisch zwischen die Fronten der Konfliktparteien geraten ist.

Im Mai 2002 löste König Gyanendra auf Empfehlung des damaligen Premierministers Deuba das Parlament auf und ließ Neuwahlen ausschreiben. Mit diesem Schritt wollte Deuba eine Abstimmungsniederlage in der Frage der dritten Verlängerung des Ausnahmezustands vermeiden. Da es ihm jedoch nicht gelang, innerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Frist von sechs Monaten Neuwahlen abzuhalten, wurde er vom König wegen "Unfähigkeit" entlassen. König Gyanendra übernahm selbst die Macht und setzt seitdem die Regierungen ein. Parlamentswahlen sind zwar für das Frühjahr 2005 geplant, doch scheint dies unter den gegebenen Umständen im Land kaum realisierbar.

1996 bereits hatte die Communist Party of Nepal (CPN-Maoist) einen so genannten Volkskrieg gegen die Regierung begonnen, nachdem sich diese geweigert hatte, über eine neue Verfassung und die Abschaffung königlicher Privilegien zu verhandeln. Nach dem Ende einer ersten, nur wenige Monate dauernden Waffenruhe im November 2001 und eskalierenden Angriffen der Maoisten gegen Polizei, Armee und andere staatliche Einrichtungen wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Gleichzeitig wurde ein Sondergesetz zur Terroristenbekämpfung verabschiedet. Der Terrorist and Disruptive Activities Act (TADA) setzt verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte außer Kraft und räumt den Sicherheitskräften weit reichende Sonderbefugnisse ein. So können Verdächtige festgenommen und ohne gerichtliche Überprüfung bis zu 90 Tage "präventiv" inhaftiert werden. Auch die Einrichtung von Sondergerichten ist auf der Grundlage des Gesetzes möglich. Allerdings ist dies bisher nicht geschehen. TADA wurde kürzlich verschärft, so dass nunmehr eine Festnahme ohne Gerichtsbeschluss bis zu sechs Monaten und mit Genehmigung des Innenministeriums bis zu zwölf Monaten erlaubt ist. Gegen diese Bestimmungen ist eine Klage vor dem Obersten Gericht anhängig.

Ein zweiter im Januar 2003 zwischen Regierung und Maoisten vereinbarter Waffenstillstand wurde bereits im August 2003 von den Maoisten mit der Begründung gebrochen, die Regierung zeige keine ernsthafte Verhandlungsbereitschaft. Seitdem wurden die Friedensgespräche nicht wieder aufgenommen. Mittlerweile werden weite Teile der schwach besiedelten ländlichen Gebiete im Westen von den Maoisten kontrolliert. Im Osten ist ihr Einfluss inzwischen ebenfalls erheblich gewachsen.

Auch von außen wird auf den Konflikt in Nepal Einfluss genommen: Indien mit seinen engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Nepal fürchtet ein Übergreifen der Rebellion auf sein Staatsgebiet und stärkt die Regierung u.a. mit Waffenlieferungen. Es lehnt aber jede Form von internationaler Vermittlung - auch durch die Vereinten Nationen - strikt ab. Auch die USA unterstützen die Regierung mit Waffen. Großbritannien leistet Militärhilfe in anderen Bereichen. Allgemein wird die Auffassung vertreten, dass keine der beiden Konfliktparteien in der Lage ist, den Konflikt mit militärischen Mitteln für sich zu entscheiden. Das Nachbarland China schätzt die Loyalität Nepals in der Tibet-Frage. Trotz der gemeinsamen ideologischen Wurzeln unterstützt China die maoistischen Rebellen daher nicht.

Nepal ist ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt. Rund 42% der Bevölkerung werden als absolut arm eingestuft, rund 80% leben überwiegend von der Subsistenzlandwirtschaft. Im Westen des Landes brachen in den vergangenen Jahren wiederholt Hungersnöte aus. Nepal besitzt keinerlei Bodenschätze; Ansätze von Industrie gibt es nur im Kathmandu-Tal und im Flachlandgürtel entlang der indischen Grenze. Wichtige, aber nicht ausreichende Einnahmequellen sind der Tourismus, Transferzahlungen von im Ausland arbeitenden Nepalesen und Programm- bzw. Budgethilfen internationaler Geber im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich auf Maßnahmen in den Schwerpunktbereichen Gesundheitswesen und Familienplanung, die Förderung der kommunalen Selbstverwaltung und der Zivilgesellschaft sowie auf die Förderung erneuerbarer Energien (Wasserkraft und Biogas). Entwicklungschancen außerhalb der Entwicklungszusammenarbeit werden auch im sanften Tourismus gesehen.

II. Die Eskalation des Konflikts hat zu massiven Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten geführt. Brutale Aktionen der Maoisten wie Mord, Folter, Entführungen, Vergewaltigungen, Bombenanschläge sowie die auch von amnesty international dokumentierte Verschleppung von Kindern in Umerziehungslager bzw. die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten verbreiten Angst und Schrecken in der Zivilbevölkerung. Die nationalen Sicherheitskräfte reagieren mit ähnlich gewalttätigen Aktionen wie extralegalen Tötungen, Folter, Vergewaltigungen, Verschwindenlassen von Personen und Langzeitinhaftierungen ohne Gerichtsurteil.

Die Zahl der Toten seit Ausbruch der Unruhen 1996 wird offiziell auf 10.000 beziffert; inoffiziellen Angaben zufolge liegt die Zahl der Opfer sogar bei 12.000.

Auf Druck der EU-Missionschefs in Kathmandu wurde im August 2003 der Bericht der Nationalen Menschenrechtskommission veröffentlicht, in dem sie die Erschießung von 21 Maoisten und deren Sympathisanten durch die nationalen Sicherheitskräfte in Doramba/Ramechap untersucht hat. Daraufhin forderte der amtierende VN-Hochkommissar für Menschenrechte Bertrand Ramcharan die nepalesische Regierung auf, schnell zu handeln und die Schuldigen zu bestrafen. Gleichzeitig forderte er beide Konfliktparteien auf, die von der Nationalen Menschenrechtskommission entworfene Menschenrechtsvereinbarung zu unterzeichnen.

Im Rahmen der 60. Sitzung der VN-Menschenrechtskommission in Genf äußerten die beiden VN-Sonderberichterstatter zu Folter und zum Recht auf Meinungsfreiheit sowie der Vorsitzende der Arbeitsgruppe zu willkürlichen Verhaftungen ihre große Sorge, dass in Nepal Dutzende von Menschen an geheimen Orten gefangen gehalten werden und in Gefahr sind, gefoltert oder auf andere Weise misshandelt zu werden. Die Sorge war berechtigt, da das Anti-Terror-Gesetz jenen, die an der so genannten Aufstandsbekämpfung beteiligt sind, ausdrücklich Straffreiheit zusichert. Dieser Passus ist allerdings in der kürzlich geänderten Fassung des Anti-Terror-Gesetzes nicht mehr enthalten. Um auf der 60. Sitzung der VN-Menschenrechtskommission 2004 eine Resolution gegen Nepal zu verhindern, hatte sich die sich nepalesische Regierung zu einer 25 Punkte umfassenden Selbstverpflichtungserklärung zur Umsetzung der Menschenrechte bereit erklärt. Deren Umsetzung steht allerdings bis heute aus.

Die meisten Menschenrechtsverletzungen in Nepal finden im Kontext der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Rebellen statt. Aber auch unabhängig davon gibt es dringenden menschenrechtlichen Handlungsbedarf. Nepal hat zwar so wichtige Menschenrechtsabkommen wie das Abkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, das Abkommen über die Rechte des Kindes, das Abkommen über die Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung und die VN-Anti-Folter-Konvention ratifiziert; die Umsetzung dieser Konventionen findet jedoch nicht ausreichend statt.

Die Lage der Frauen ist geprägt von wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Diskriminierung. Seit mehreren Jahren wird eine Gesetzesvorlage zur Gleichberechtigung von Frauen im Erbrecht blockiert. Auch blüht nach wie vor der Menschenhandel. Frauen und Mädchen werden nach Indien verschleppt und dort zur Arbeit als Hausangestellte oder Prostituierte gezwungen. Viele Kinder, aber insbesondere Mädchen, erhalten keine Schulausbildung.

Prekär ist auch die Lage der Dalits, der "Kastenlosen", die 20 % der Bevölkerung ausmachen. Sie und die zahlreichen indigenen Volksgruppen sind vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und im Bildungswesen benachteiligt, obwohl laut Verfassung jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Kaste, einer Ethnie oder einer Religionsgemeinschaft verboten ist.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. ihr Engagement bei der Förderung von Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in Nepal fortzusetzen;

2. auf den König und die Regierung einzuwirken, damit sie zur Demokratie zurückkehren, die demokratischen Institutionen stärken und so rasch wie möglich Parlamentswahlen durchführen;

3. gemeinsam mit der nepalesischen Regierung und den EU-Partnern und möglichst in Kooperation mit Indien eine Strategie zur Konfliktlösung in Nepal zu erarbeiten und auf die Konfliktparteien einzuwirken, alle Kampfhandlungen einzustellen und Friedensgespräche wieder aufzunehmen;

4. die Regierung nachdrücklich an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich und im humanitären Völkerrecht zu erinnern und sie aufzufordern, ihre anlässlich der 60. Sitzung der VN-Menschenrechtskommission 2004 abgegebene Selbstverpflichtungserklärung zur Umsetzung der Menschenrechte endlich zu verwirklichen;

5. auf die Regierung einzuwirken, damit sie gegen jede Form der Diskriminierung von Frauen und Mädchen einschreitet und ihnen verbesserte Bildungschancen einräumt;

6. die Regierung aufzufordern, gegen jede Form der Diskriminierung von Minderheiten vorzugehen;

7. die Regierung aufzufordern, die Nationale Menschenrechtskommission zu stärken, ihre weitere Existenz und Unabhängigkeit auch über den Mai 2005 hinaus zu garantieren und ihr ein Mandat für ein regelmäßiges Monitoring zu geben;

8. auf die Regierung einzuwirken, einheimische Menschenrechtsorganisationen zu unterstützen, internationalen Menschenrechtsorganisationen einen verbesserten Zugang zu gewähren und die überfällige Vereinbarung mit dem VN-Hochkommissar für Menschenrechte über die Einrichtung eines Büros in Kathmandu umgehend zu unterzeichnen;

9. die nepalesische Regierung aufzufordern, bei Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte und Rebellen juristische Ermittlungen zuzulassen und konsequent gegen die Straflosigkeit anzugehen;

10. Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu nutzen, um in Abstimmung mit den anderen Gebernationen auf eine gewaltfreie Lösung der politischen Konflikte und die Verbesserung der menschenrechtlichen Lage hinzuwirken,

11. in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft nach Wiederherstellung von Demokratie und Frieden in Nepal das Land verstärkt bei der Lösung seiner wirtschaftlichen Probleme zu unterstützen - insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energie, bei einer Landreform und bei der Förderung des sanften Tourismus.

Berlin, den 1. Dezember 2004

Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion  

Video: Einführung in das Menschenrechtssystem

Mehr Infos zu den drei Dimensionen der Menschenrechte

Eckpunkte Grüner Menschenrechtspolitik