Eine andere Allianz ist möglich!

Kanzlerin Merkel wurde in Chile auf dem Gipfeltreffen der EU mit dem lateinamerikani schen Staatenbündniss CELAC ausgebremst. Sie rührte vor allem die Werbetrommel für eine Ausweitung des Freihandels. Über gemeinsame Anstrengungen für den Klimaschutz, die fortschreitende Zerstörung der Wälder, das alarmierende Gewaltniveau und die anhaltende strukturelle Ungleichheit verlor sie hingegen kein Wort.

Die grüne Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung mit ihrem Antrag „EU – Lateinamerika: Partnerschaft für eine sozial-ökologische Transformation“ aufgefordert, sich für die Erarbeitung von neuen gemeinsamen Zielen und von Konzepten für eine diversifizierte und nachhaltige Wirtschafts- und Handelsstrategie einzusetzen. Kanzlerin Merkel konnte jedoch die "strategische Partnerschaft" mit Lateinamerika entgegen ihrer Ankündigung nicht mit Inhalten füllen. Ihre Rede verriet keinerlei Vision für eine echte Partnerschaft im Sinne gemeinsamer Anstrengungen für drängende globale Aufgaben und eine menschenrechtsbasierte, nachhaltige Entwicklung.

Die Kanzlerin reiste in Begleitung einer großen Delegation von WirtschaftsvertreterInnen nach Santiago de Chile. Das Interesse an der wachstumsstarken Region und ihrem Rohstoffreichtum ist groß. Europäische VertreterInnen aus Wirtschaft und Industrie befürchten, dass sie den Anschluss im internationalen Wettbewerb verlieren könnten. Die EU ist zwar derzeit noch stärkster Investor in Lateinamerika und der Karibik, wird aber schon heute nur noch als drittwichtigster Handelspartner nach den USA und China angesehen.

Kanzlerin Merkel rührte daher die Werbetrommel für den Freihandel. Viele lateinamerikanische und karibische Regierungen sind jedoch nicht mehr bereit, dem europäischen Wunsch nach Marktöffnung zu entsprechen. Merkels Drängen auf einen baldigen Abschluss des Abkommens mit dem Mercosur (Gemeinsamer Markt Südamerikas, dem unter anderem Brasilien und Argentinien angehören) wurde von der argentinischen Präsidentin Kirchner ausgebremst. Diese kündigte an, dass der Mercosur einen neuen Entwurf für ein Handelsabkommen erarbeiten und der EU vorlegen werde.

Lateinamerikanische Staatsoberhäupter forderten zudem mehr internationale Finanzregulierung. Denn während in der EU gerade die Regulierung der Finanzmärkte beraten wird, drängt dieselbe mit der Ratifizierung von Freihandelsabkommen mit Lateinamerika auf eine weitgehende Liberalisierung der Finanzdienstleistungen. Dadurch verordnet sie sich selber eine geringere Handhabe, Finanzdienstleistungen strenger zu regulieren. Dies ist paradox und kann zudem die Geldwäsche bei Drogengeschäften der Organisierten Kriminalität erleichtern.

Das Pochen der Kanzlerin auf Wachstum als Allheilmittel wirkte zudem weltfremd. Aus Südamerika stammen neue Vorstellungen über Entwicklung und Wachstum, die weltweit unter dem Stichwort „Gutes Leben“ Aufmerksamkeit erregen und in die neuen Verfassungen von Bolivien und Ecuador Einzug fanden. Die deutsche Kanzlerin würdigte sie in ihrer Rede mit keinem Wort. Auch ihre Austeritätspolitik in Europa kommt in Lateinamerika, das sich gerade erst von den Folgen des von Weltbank und IWF durchgesetzten radikalen Sparkurses der achtziger Jahre befreit, nicht gut an. Zuletzt löste die Agrarpolitik der EU, die mit dem Einverständnis der Kanzlerin gerade für weitere fünf Jahre festgezurrt werden soll, Missfallen in Lateinamerika aus. 

In Fragen der Sozial- und Umweltpolitik, wie Engagement für Demokratie und Rechtsstaat und dem Kampf gegen den Klimawandel blieb die Kanzlerin gänzlich stumm. Währenddessen formulierten auf dem zeitgleich stattfindenden Gegengipfel „Enlazando Alternativas“ mehrere hundert soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen alternative Forderungen. Dazu gehören unter anderem der Schutz lateinamerikanischer Binnenmärkte, Vorschläge für eine andere Politik zur extraktiven Industrie und mehr soziale und Geschlechtergerechtigkeit. Vor der Eröffnung des offiziellen Gipfels der EU demonstrierten deshalb tausende Menschen in Santiago und forderten kostenlose Bildung für alle und den Schutz der Gemeingüter.

Die Kanzlerin nutzte den Gipfel zur Sicherung günstiger Rohstoffe für die deutsche Industrie. Am Ende der Konferenz vereinbarten Chile und Deutschland eine Rohstoffpartnerschaft für mehr Zusammenarbeit in den Bereichen Erkundung, Gewinnung und Verarbeitung von mineralischen Rohstoffen. Kein Wort über den Nutzen der Rohstoffgewinnung für die chilenische Bevölkerung, die Beteiligung der Zivilgesellschaft und substanzielle Umwelt-, Sozial- und Transparenzstandards.

Dabei zeigen die Debatten auf dem alternativen Gipfel, dass bei vielen Menschen in Lateinamerika ein Umdenken stattgefunden hat. Die massive Rohstoffausbeutung, die fast alle lateinamerikanischen Regierungen – häufig unter Missachtung der schwerwiegenden ökologischen und menschenrechtlichen Folgen – betreiben, wird zunehmend kritisch beurteilt. Die Organisationen forderten nachhaltige regionale Entwicklungspolitik sowie eine Wirtschafts- und Energiepolitik, die die Abhängigkeit vom Weltmarkt verringert und auf nachhaltigere, diversifizierte Wirtschaftsmodelle setzt. Einer Auseinandersetzung mit diesen Ideen und Konzepten stellte sich jedoch allein der bolivianische Präsident Evo Morales, der den alternativen Gipfel zum Abschluss besuchte.