Rede zur Debatte um neue globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

es war auf einer Akademietagung zur Entwicklungsagenda nach 2015 als sich eine junge Afrikanerin zu Wort meldete und uns auf dem Podium vorwarf, oft von oben herab auf die Entwicklungsländer zu blicken – wie ein Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger und dem Vorwurf: Ihr habt Eure Hausaufgaben noch nicht gemacht!

Sie drehte den Spieß rum und wies darauf hin, dass nicht alle aber viele Probleme, viele globale Herausforderung in erster Linie auf Fehlverhalten der Industrienationen zurückzuführen seien. "Nehmen wir zum Beispiel den Klimawandel“, sagte sie – „der hat in der Sahelzone schon zu Ernteverlusten von bis zu 20 Prozent geführt. Die CO2-Emmissionen Afrikas sind jedoch sehr gering und liegen unter einer Tonne pro Jahr und Einwohner. Ihr Deutschen“, so sagte sie, „pustet pro Kopf und Jahr mehr als das zehnfache – genau 11,6 Tonnen – CO2 in die Luft. Was ökologische Nachhaltigkeit betrifft, lebt Ihr in einem Entwicklungsland!“

Recht hat sie – was das Entwicklungsland Deutschland betrifft. Doch es gilt, das eine zu tun – also auch klar auf hausgemachte Probleme der klassischen Entwicklungsländer hinzuweisen – und das andere nicht zu vernachlässigen: Wir in den Industrienationen müssen uns auch an die eigene Nase fassen und uns kritisch fragen lassen, welche Auswirkungen unsere Wirtschaftsweise, unsere Konsummuster, unser Lebensstil auf das Weltklima im weitesten Sinne haben. Und da brauchen wir, um Worte des wissenschaftlichen Beirats dieser Bundesregierung zu benutzen, eine Große Transformation, eine sozial-ökologische Transformation, die auch mit einer Entkarbonisierung unserer Wirtschaft verbunden sein muss.

Überall muss es eine Energiewende geben, hin zu den Erneuerbaren. Doch wenn Länder wie  Malawi oder Tansania mit einem CO2-pro-Kopf-Verbrauch von unter einer Tonne und einem Elektrifizierungsgrad von unter 10 Prozent einen Teil ihrer Energie mit heimischer Kohle produzieren wollen, habe ich dafür Verständnis. Aber neue Kohlekraftwerke in Europa – das geht gar nicht.

Ich finde es sehr gut, dass alle drei Anträge zur Post-MDG-Agenda eine Zusammenführung der Armutsbekämpfungs- und Umweltagenda fordern. Wir alle streiten gemeinsam für universelle Ziele für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung weltweit, für ehrgeizige Ziele, die auf keinen Fall schwächer oder schwammiger sein dürfen als die MDGs, die im Jahr 2001 beschlossenen Millenniumsentwicklungsziele. Die neuen SDGs, die im nächsten Jahr beschlossen werden sollen, müssen weit darüber hinausgehen, umfassender, ganzheitlicher sein, die Menschenrechte stärker einbeziehen und wirklich ökologisch nachhaltig sein – also eine wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der planetarischen Grenzen beschreiben. Wir brauchen ehrgeizige Ziele zur Besiegung des Hungers in der Welt. Und ebenso Ziele zum Schutz der Ozeane, des Klimas, der Bodenfruchtbarkeit und der biologischen Vielfalt.

Wie gesagt: Es gibt, wenn man die drei Anträge nebeneinanderlegt, viele Gemeinsamkeiten. Und das ist auch gut so. Und deshalb lehnen wir Grünen auch keinen dieser Anträge ab.

Dass wir uns bei den Anträgen der Koalition und der SPD dennoch nur enthalten, liegt daran, dass in diesen Anträgen etwas zu kurz kommt – und das sind die notwendigen Veränderungsprozesse, die unser eigenes Land – das Entwicklungsland Deutschland – betreffen.

Wenn wir zu Recht für die ganze Welt die Transformation hin zu einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung fordern, dann müssen wir beherzter und mutiger bei uns anfangen und unseren eigenen ökologischen Fußabdruck radikal verringern. Das hat Konsequenzen für unsere Agrar-, für unsere Wirtschafts-, Verkehrs- und Energiepolitik, für unser Konsumverhalten, für unseren Lebensstil – zum Teil auch schmerzliche Konsequenzen. Und es mag sein, dass Sie das gerade in Wahlkampfzeiten den Menschen hierzulande nicht sagen wollen sondern weiterhin aufs alte Wirtschaftswachstumsdogma setzen.

Unser Antrag blendet auch diese Seite nicht aus. Wir fordern universelle Ziele, die wirklich für alle Länder gelten und auch in Deutschland eine ehrgeizige sozial-ökologische Transformation initiieren sollen. Im Angesicht von Klimawandel und rund einer Milliarde Hungernder gilt nach wie vor der alte Spruch, die alte Aufforderung: „Anders leben – damit andere überleben!“