Rede zum Weißbuch Entwicklungspolitik

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Aufreger im Weißbuch steht auf Seite 25. Ich zitiere: „Die Bundesregierung strebt weiterhin an, bis 2015 einen Anteil der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit am BNE in Höhe von 0,7 Prozent zu erreichen“.

Ein tolles Ziel! Das finden wir alle wunderbar!

Aber Herr Minister, bitte erklären sie uns, mit welcher magischen Formel diese Bundesregierung das Kunststück fertig bringen will, durch Kürzung des Entwicklungsetats – so geschehen in diesem Jahr und geplant im nächsten Jahr - die ODA-Quote von jetzt 0,38 Prozent bis 2015 auf 0,7 zu steigern!

Für diejenigen, die nicht ganz im Film sind: Im Jahr 2005 hat Deutschland fest zugesagt, seine Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe kontinuierlich zu steigern und dafür bis 2015 das so genannte 0,7%-Ziel zu erreichen – also 0,7% von allem, was erwirtschaftet wird, zur Überwindung von extremer Armut und Hunger, zur Eindämmung von Malaria und Aids, für sauberes Trinkwasser für alle etc. einzusetzen.

Holland, Schweden, Dänemark haben gehalten, was sie versprochen haben. Und auch England ist auf gutem Wege, das 0,7%-Ziel pünktlich zu erreichen. Deutschland hingegen ist weit davon entfernt, ist auf halbem Wege stehen geblieben und müsste innerhalb von zwei Jahren seine Ausgaben für Entwicklung fast verdoppeln, um von 0,38 auf 0,7% zu kommen.

2011 gab es eine Initiative von mehr als 360 Abgeordneten aus diesem Parlament – alle Fraktionen waren vertreten. Wir forderten, das 0,7%-Versprechen endlich ernst zu nehmen und die Entwicklungsgelder von 2012 an jährlich um 1,2 Milliarden zu steigern. Nur so hätte man noch die Kurve gekriegt und das 0,7%-Ziel fristgerecht bis 2015 erreicht.

Doch diese Initiative wurde weder von der Kanzlerin noch von Ihnen, Herr Niebel, unterstützt. Die Koalitionsmehrheit verhinderte den notwendigen Aufwuchs der Mittel und im letzten Jahr kam es dann ganz dicke, da wurde erstmals seit vielen Jahren der Entwicklungsetat um 86 Millionen gekürzt.

Zugegeben: Diese Kürzung war von der Bundesregierung so nicht geplant. Das gesamte Kabinett wurde überrascht von einem Streichkonzert ihrer Haushälter. Dirigent war Herr Koppelin. Aber Sie, Herr Niebel, und die Kanzlerin haben sich das gefallenlassen. Wir, die Grünen, kamen in die sonderbare Position, den Haushaltsentwurf dieser Regierung zu verteidigen und in namentlicher Abstimmung den Antrag auf Zurückweisung dieser Kürzung zu stellen. Und ich kann bis heute nicht verstehen, warum Sie damals unseren Versuch, noch zu retten, was zu retten war, als „Spielchen“ abgetan und der Kürzung ihres eigenen Etats zugestimmt haben.

Ich bemühe mich sonst immer um einen sachlichen Ton. Sorry, aber das fand ich wirklich schizophren, dass Sie die Kürzung ihres Etats zwar heftig kritisierten, dem Bundestag die Schuld für die Nichterreichung des 0,7%-Ziels gaben, aber als Abgeordneter genau dieser Kürzung zustimmten.

Dann machten Sie sich in Interviews über das 0,7%-Ziel lustig, gaben zu, dass man sich davon de facto verabschiedet hat, nannten es gar ein „tot gerittenes Pferd“. Und jetzt finden wir in Ihrem Weißbuch wieder den schönen Satz, den ich zu Beginn zitiert hatte: Wir streben weiterhin an, dass 0,7%-Ziel bis 2015 zu erreichen.

Das ist einfach dreist. Das ist Volksverdummung.

So bitter es ist: Das 0,7%-Ziel KANN überhaupt nicht mehr bis 2015 erreicht werden – selbst wenn Sie jetzt Lotto spielen und ganz viel gewinnen würden. Man kann nämlich in der Entwicklungszusammenarbeit nicht jeden x-beliebigen Beitrag innerhalb kurzer Zeit sinnvoll ausgeben. Gute Entwicklungsprogramme und –projekte brauchen einen Vorlauf, müssen mit den Partnern ausgehandelt und geplant werden - unter Beteiligung der Zielgruppen. Denn es wäre ja Quatsch, an den Menschen vorbei Geld zu verpulvern, nur um eine zugesagte Quote zu erreichen.

Die Chance, auch unter Beachtung hoher Qualitätskriterien das 0,7%-Ziel fristgerecht zu erreichen, wurde 2011 vergeigt. Leider.

Wir Grünen werden an diesem Wochenende einen gut durchgerechneten und fachlich geprüften ODA-Aufholplan beschließen, der ab 2014 einen Aufwuchs der Entwicklungsgelder um jährlich 1,2 Milliarden und der Gelder für den internationalen Klimaschutz um jährlich 500 Millionen vorsieht. Das kann auch bei hohen Qualitätsanforderungen sinnvoll eingesetzt werden – und damit könnten wir es schaffen, das 0,7%-Ziel zwar nicht bis 2015 aber bis 2017 – also immerhin in einer Legislaturperiode -  zu erreichen.

Die SPD hat Ähnliches im Programm. Deshalb ist die Chance groß, dass sich Deutschland endlich solidarisch zeigen und seine Zusagen einhalten wird, dass es mit der Entwicklungszusammenarbeit und ihrer Finanzierung endlich wieder aufwärts geht, wenn, ja wenn uns die Wählerinnen und Wähler dafür den Auftrag geben und mit einer Mehrheit ausstatten.

Mehr Infos