G20: Frau Merkels Agenda greift zu kurz!

Anlässlich des heute beginnenden G20-Gipfels in Seoul erklären Dr. Gerhard Schick, Sprecher für Finanzpolitik, und Thilo Hoppe, MdB:

Im November 2008 hieß es beim G20-Treffen: "Kein Produkt, keine Region und kein Akteur außerhalb der Aufsicht". Zwei Jahre und vier G20-Gipfel später sind die billionenschweren Märkte für Derivate noch immer unreguliert und völlig intransparent. Auch deshalb erleben wir an den Rohstoffmärkten beinahe täglich spekulationsgetriebene Preisrekorde, die mit physischer Nachfrage und Angebot kaum noch etwas zu tun haben. Ob an den Märkten für Kupfer, Kakao oder Weizen – Bundeskanzlerin Merkel muss in Seoul die Eindämmung der Rohstoffspekulation zum Top-Thema machen und sich für eine globale, lückenlose Regulierung und internationale Transparenz des Derivatehandels einsetzen. Nur dann lassen sich die spekulationsgetriebenen Preisexplosionen in den Griff bekommen, weil nur dann die Aufsicht erforderliche Informationen und Eingriffsmöglichkeiten erlangt.

Über die Finanztransaktionsteuer wird in Seoul nicht geredet – Merkel und Schäuble haben die Chance verpasst, das Thema auf die internationale Agenda zu hieven. Dabei haben sich 183 Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt an die G20 gerichtet und die Einführung der Finanztransaktionsteuer gefordert. Titel: "Hört auf die Menschen, nicht auf die Banken!" An diesem Anspruch wird das Ergebnis des Gipfels zu messen sein.

Beim Streit um globale Ungleichgewichte und Wechselkurse muss die Bundesregierung von Konfrontation auf Kooperation schalten: Wer wie Merkel mit dem Finger auf die USA zeigt, blendet eigene Verantwortung aus und riskiert freien Handel und globale Entwicklungschancen. Deutschland muss endlich vor der eigenen Haustür kehren und über die Stärkung der Binnenkonjunktur zum Abbau globaler Ungleichgewichte beitragen. Wir fordern von der Bundesregierung, sich für eine neue Weltwährungsordnung (Bretton Woods III) einzusetzen.

Das Entwicklungsverständnis der G20 darf nicht zu einer wirtschaftlich dominierten Schmalspuragenda führen. Neue Geber wie China, Saudi Arabien, Indien und Brasilien sitzen mit am Tisch. Diese Chance muss genutzt werden, um die Anwendung verbindlicher Menschenrechts-, Sozial- und Umweltstandards in der Entwicklungszusammenarbeit und bei Investitionen voranzutreiben. Auch die Paris- und Accra- Agenda für mehr Wirksamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit soll den Nicht-OECD Mitgliedern nähergebracht werden.

Der exklusive Club der 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte darf nicht zur Etablierung weiterer Parallelstrukturen führen. Er soll Fragen politischer Kohärenz vorklären, um auf Ebene der Vereinten Nationen Fortschritte zu erzielen. Die G20 müssen sich mit dem bedenklichen Trend des Land Grabbing auseinandersetzen, denn aus den G20 stammen die größten Investoren. Die G20-Staaten sollten sich darauf verständigen, die Vereinten Nationen bei der Ausarbeitung wirksamer Leitlinien zu unterstützen, die diesen neuen Scheckbuch-Kolonialismus eindämmen.