Der Kampf gegen den Hunger braucht einen langen Atem

Zu den Aktivitäten in der Aktionswoche gegen den Hunger in der Welt erklärt Thilo Hoppe, MdB:

In den vergangenen Woche fanden anlässlich des Welternährungstages und der sich daran anschließenden "Woche der Welthungerhilfe" zahlreiche Informationsveranstaltungen und Aktionen der Deutschen Welthungerhilfe und anderer Nichtregierungsorganisationen statt, die sich für die Umsetzung des Rechts auf Nahrung einsetzen und in den Hungergebieten dieser Welt konkrete Hilfe leisten.

Dieses begrüßenswerte Engagement ist wichtiger denn je, da die Zahl der Hungernden in den letzten Jahren wieder gestiegen ist und weiter ansteigt. Zur Zeit sind weltweit 852 Millionen Menschen chronisch unterernährt. Allein in diesem Jahr sind bereits 6,2 Millionen Menschen verhungert.

Der Kampf gegen den Hunger muss intensiviert werden – und er braucht vor allem einen langen Atem. Dazu gehört eine intelligente Verzahnung von Nothilfe und langfristig angelegter Entwicklungszusammenarbeit, die dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" folgt und die Partnerländer in die Lage versetzt, aus eigener Kraft die Ernährung ihrer gesamten Bevölkerung sicherzustellen.

Die Deutsche Welthungerhilfe, die Menschenrechtsorganisation FIAN (Food First Informations- und Aktionsnetzwerk), kirchliche Hilfswerke und viele weitere Nichtregierungsorganisationen sowie im Auftrag der Vereinten Nationen arbeitende wissenschaftliche Institute weisen zu Recht darauf hin, dass der ländlichen Entwicklung ein sehr viel größerer Stellenwert eingeräumt werden muss. Denn mehr als 70 Prozent der Hungernden leben auf dem Lande.

Auch auf einer von der grünen Bundestagsfraktionen im Mai dieses Jahres initiierten Anhörung des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wurde mehr als deutlich, dass die ländliche Entwicklung sowohl in der bi- als auch in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit in den letzten 20 Jahren vernachlässigt worden ist.

Wir Grüne fordern, dass aus dieser Erkenntnis Konsequenzen gezogen und im Bundeshaushalt 2006 deutlich mehr Mittel für die ländliche Entwicklung zur nachhaltigen Bekämpfung des Hungers bereitgestellt werden. Wir erwarten, dass sich die künftige Bundesregierung im Koalitionsvertrag trotz der angespannten Haushaltssituation genauso wie die rot-grüne Bundesregierung zur Umsetzung des Stufenplanes zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels bekennt. Es sollte nicht versucht werden, dieses Ziel ausschließlich durch Entschuldungsmaßnahmen anzustreben. Zur Bekämpfung des Hungers wird dringend "fresh money" benötig.

Genauso wichtig ist es, dass von Renate Künast begonnene Engagement zur Umsetzung des Rechtes auf Nahrung fortzusetzen. Die auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung von der Welternährungsorganisation FAO verabschiedeten freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung sollten intensiv in die Regierungsverhandlungen mit den Partnerländern in Afrika, Asien und Lateinamerika einbezogen werden. Von den Partnerländern ist zu verlangen, dass sie ihre Ernährungssicherungspolitik an diesen Leitlinien auszurichten. Zur Umsetzung sollte ihnen Unterstützung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit angeboten werden. Der Umsetzung von Landreformen und der Förderung einer Ressourcen schonenden, angepassten Landwirtschaft, die zu aller erst zur Ernährungssouveränität beiträgt aber auch – wenn möglich – Einnahmen aus dem Exportgeschäft generiert, kommt dabei eine große Bedeutung zu. Auch der Aufbau und die Stärkung effektiver staatlicher Institutionen, Investitionen in die Infrastruktur und die Weiterverarbeitung von Agrarprodukten sollte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit intensiviert werden.

Bei der bevorstehenden Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Hongkong kommt es sehr darauf an, dass das zu beschließende Agrarabkommen die Situation der extrem Armen verbessert und nicht etwa die Bemühungen im Kampf gegen den Hunger konterkariert. Die besonders entwicklungsschädlichen Agrarexportsubventionen müssen so schnell wie möglich vollständig abgebaut werden. Die Industrienationen müssen den Entwicklungsländern mehr Marktzugang gewähren, ihnen andererseits aber auch das Recht zugesehen, sensible Bereiche ihrer Landwirtschaft und der sich im Aufbau befindenden Industrie und des Dienstleistungssektors zu schützen.

Die WTO darf keiner blinden Liberalisierungsagenda folgen. Von außen erzwungene Zollsenkungen haben in vielen Entwicklungsländern dazu geführt, dass Billigimporte die einheimische Nahrungsmittelproduktion zerstört und das Hungerelend vergrößert haben.

Die Welthandelsrunde muss, wie 2001 in Doha versprochen, zu einer Entwicklungsrunde werden und sich daran messen lassen, ob sie zur Verringerung von extremer Armut und Hunger beiträgt.

Nur durch einen ganzheitlichen Ansatz, der Reformen in den vom Hunger betroffenen Ländern, mehr Entwicklungszusammenarbeit – besonders im Agrarbereich und mehr Fairness und Gerechtigkeit im Welthandel umfasst, lässt sich die Zahl der Hungernden signifikant verringern.

Wir erwarten von der künftigen Bundesregierung eine ambitionierte und kohärente Politik gegen den Hunger und werde diese kritisch-konstruktiv begleiten.