Grenznutzen der deutschen Verkehrsstraßen ist erreicht

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Zeitungsbericht der Ostfriesischen Nachrichten
von Max Rocker

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(Die Podiumsteilnehmer, von links: Dr. Anton Hofreiter, MdB, Thilo Hoppe, MdB und Carsten Schurwanz) Der Grenznutzen der Straßen in Deutschland ist erreicht. Das heißt, dass neue Straßen nicht mehr gebaut werden sollten. So lautet eine der Kernthesen des Obmanns der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen im Verkehrsausschuss des Bundestags, Dr. Anton Hofreiter. Der Münchner war am Donnerstag auf Einladung des Auricher Grünen-Bundestagsabgeordneten Thilo Hoppe und des Ortsverbandes der Grünen in das Ostfrieslandhaus gekommen. Er referierte zum Thema "Verkehr(t) – vom Straßenbauwahn zur grünen Mobilität".

Nach seiner Aussage trägt die Verkehrspolitik, wie sie zurzeit gehandhabt wird, mit 20 bis 30 Prozent zum weltweiten Klimawandel bei. Der Verkehr sei zu einem großen Teil auch von Rohöl abhängig, welches über kurz oder lang, so Hofreiter, zu Ende gehe. Das sei aber nur einer von mehreren Gründen, die Mobilität anders zu organisieren.

Der Bundesverkehrswegeplan sei im Prinzip lediglich ein "Bundesstraßenplan" und orientiere sich fast ausschließlich an Straßenbauprojekten. So seien rund 80 Milliarden Euro nur für Umgehungen und Autobahnen ausgegeben worden. Unser Land verfüge über das dichteste Straßennetz der Welt, und trotzdem würden immer noch neue Straßen gebaut auf der Basis einer Argumentation, die aus den 50er und 60er Jahren stamme, so Hofreiter.

Also müsse jetzt etwas grundlegend geändert werden, denn hier sei der sogenannte "Grenznutzen" erreicht. Es würde oft gesagt, dass viele Arbeitsplätze auch von Autobahnanbindungen abhingen. Dies sei überhaupt nicht nachzuvollziehen. So habe man in Bayern bei über 2000 Kommunen, die über eine Stunde von einer Autobahnanbindung entfernt sind, festgestellt, dass sie bezüglich der Arbeitsplätze keinesfalls benachteiligt seien. "Man müsste vielmehr das schon vorhandene Straßennetz unterhalten, und gerade daran fehlt es", sagte Hofreiter. In Deutschland lasse man das Netz regelrecht verfallen. So bestünden Unterhaltungsrückstände in Höhe von 25 Milliarden Euro beim Bundesfernstraßennetz. Auf der anderen Seite würden jährlich für zwei Milliarden Euro neue Fernstraßen gebaut. Den Straßenbauern attestierte der Referent, bisher einen hervorragenden Job gemacht zu haben. Jetzt aber sei es an der Zeit, das vorhandene Netz verstärkt zu pflegen. Wichtiger seien nun in verkehrspolitischer Hinsicht andere Aufgaben, wie unter anderem der Ausbau des Eisenbahnnetzes, des ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) und des Verkehrs der kurzen Wege. Dies müsse dringend geschehen, um langfristig der Verkehrsproblematik Herr zu werden. Hofreiter ging auch auf das Thema Umgehungsstraßen ein. Viele ihrer Befürworter seien nicht ehrlich zu sich selbst. Damit sei der sogenannte Ziel- und Quellverkehr in die jeweiligen Orte nämlich nicht beseitigt. In unserer Gesellschaft seien andere Dinge viel wichtiger, wo der "Grenznutzen" noch nicht erreicht worden sei, wie zum Beispiel beim öffentlichen Personennahverkehr oder auch der Behandlung der Pflegebedürftigen. Er habe erfahren, dass bei der geplanten hiesigen Umgehung B 210 die zeitliche Ersparnis pro Lkw nur bei sieben Minuten liegen würde. "Aber dafür so viel Mühe zu verwenden, ist komplett gestrig", sagte Hofreiter.

Anschließend erläuterte Carsten Schurwanz, Pressesprecher und Mitglied im erweiterten Vorstand der Bürgerinitiative BILaNz, den Stand der geplanten Ortsumgehung B 210n. Schurwanz sagte, dass die Ursprünge der Planung auf den Bundesverkehrswegeplan 2003/2004 zurückgehen. Damals wurden an Kosten, so Schurwanz, etwa 70 Millionen Euro angenommen. Planungsträger ist die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr. Schurwanz stellte die einzelnen Schritte bis hin zu einem möglichen Bau der Umgehungsstraße dar. Er sagte, insgesamt gesehen seien die Kommunalpolitiker über das Projekt nicht ausreichend informiert. Die geplante Umgehung zöge ein erhebliches Verkehrsaufkommen nach sich, insbesondere auch in Zusammenhang mit dem Jade-Weser-Port. Die Wohn- und Lebensqualität werde beeinträchtigt, Grundstückswerte würden fallen und auch Ihlow und der Grüngürtel um Aurich würden arg in Mitleidenschaft gezogen.

Es gebe aber Alternativen wie zum Beispiel eine Aufweitung der Bundesstraße 72 in einigen Bereichen (dreispuriger Ausbau). Aurich müsse verkehrspolitisch aufwachen durch das Errichten von Kreiseln und ordentlichen Ampelschaltungen. Die Initiative hat im Juni ein Petitionspapier im Bundestag zur geplanten Umgehung eingereicht.

Demnächst soll auch eine Liste mit 5000 Unterschriften gegen die Straße beim Niedersächsischen Wirtschaftsminister abgegeben werden. Abschließend sagte Schurwanz, er hoffe, es komme nicht zum Planfeststellungsbeschluss für die geplante Umgehung.

Foto: Referent Dr. Anton Hofreiter mit dem Moderator des Abends, Thilo Hoppe, und dem Pressesprecher der Bürgerinitiative BILaNz, Carsten Schurwanz (von links)