LDK in Hameln: Hoppe ruft Kommunalpolitiker zu fairem Beschaffungswesen auf

Liebe Freundinne und Freunde,
sehr geehrte KommunalpolitikerInnen aller Parteien,

ich möchte Euch/ Sie ermuntern, Menschenrechts- und Nord-Süd-Politik verstärkt auch in die Kommunalpolitik hineinzutragen. Wer von Euch/ Ihnen entsprechende Anträge in den Gemeinderat oder Kreistag einbringt, wird schnell zu hören bekommen "Was hat das denn mit uns zu tun? Dafür sind wir nicht zuständig. Damit soll sich der Bundestag oder das Europaparlament beschäftigen!" Wer sich jedoch zu den universellen und unteilbaren Menschenrechten bekennt und eine gerechte Gestaltung der Globalisierung einfordert, darf die Verantwortung dafür nicht nur "nach oben" abschieben. Genauso wie EndverbraucherInnen aufgefordert sind, ihr Konsumverhalten zu überprüfen und bewusst einzukaufen (möglichst regionale Produkte, "bio" und "fair trade"), sollten auch Kommunen ihr Beschaffungswesen auf den Prüfstand stellen und dabei soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen.

Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Denn eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2004, die den Mitgliedsstaaten ausdrücklich erlaubt, Menschenrechtsaspekte sowie ökologische und soziale Kriterien in ihrem Beschaffungswesen zu berücksichtigen und die eben nicht dazu zwingt, nach Ausschreibungen immer dem billigsten Anbieter den Zuschlag zu geben, wird jetzt endlich von der Bundesregierung in nationales Recht umgewandelt. Die grüne Bundestagsfraktion hat in diesem Sinne Druck gemacht. Und das Bundeswirtschaftsministerium hat nun endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet.

Bisher agierten die bundesweit 111 Kommunen, die jetzt schon ökologische, soziale und/oder Menschenrechtskriterien in ihrem Beschaffungswesen berücksichtigen (in Niedersachsen z.B. Emden, Göttingen, Hannover, Oldenburg, Osnabrück, Nordenham, Wolfsburg sowie der Landkreis Aurich), im rechtlichen Graubereich. Wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung beschlossen ist, werden von Euch/ Ihnen rechtliche Einwände, die die Verwaltungen gerne vorschieben, schnell zu entkräften sein.

Für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und Menschenrechtsaspekten im kommunalen Beschaffungswesen gibt es viele Anknüpfungspunkte. So hat zum Beispiel der Auricher Kreistag in einem Beschluss die Verwaltung aufgefordert, beim Einkauf für ihren Eigenbedarf und für alle kreiseigenen Einrichtungen Produkte zu bevorzugen, die mit dem  Fair-Trade-Siegel gekennzeichnet sind: Das reicht vom Kaffee für die Kantine bis zu Fußbällen für die Schulen. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass solchen "moralischen" Anträgen und Anliegen, die ja auch von den Kirchen unterstützt werden, in den Kommunalparlamenten nur ungern widersprochen wird, die Umsetzung jedoch zu Wünschen übrig lässt. Da bedarf es einer gewissen Hartnäckigkeit, immer wieder nachzufragen, Informationen über eine Erweiterung der Angebotspalette auf dem Fair-Trade-Sektor (z.B. auch im Textilbereich) weiterzugeben und konkrete Schritte einzufordern.

Aufsehen erregt hat jetzt ein Beschluss des Münchner Stadtrates, der besagt, dass auf allen 29 städtischen Friedhöfen nur noch Grabmale aufgestellt werden dürfen, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt worden sind. Einen ähnlichen Beschluss – allerdings nur als Empfehlung – hat jetzt auch die Leitung der Evangelisch-reformierten Kirche gefasst.

Hintergrund: Billig-Steinimporte aus Indien überschwemmen den Markt. Auch auf niedersächsischen Friedhöfen dominieren inzwischen Grabsteine, die aus Indien stammen. Menschenrechtsexperten wie Benjamin Pütter von Misereor haben herausgefunden und dokumentiert, das in sehr vielen indischen Steinbrüchen Kinder brutal ausgebeutet werden. Bei ohrenbetäubendem Lärm und in Staubwolken, die das Atmen zur Qual machen und die Lunge verstopfen, leisten Kinder dort Schwerstarbeit. Im Lumpen gekleidet, barfuss und ohne Mundschutz bearbeiten sie Steine. Es braucht die Kraft von mehreren, um den 45 Kilogramm schweren Presslufthammer halten und tiefe Löcher ins Gestein bohren zu können. Die Kinder und Jugendlichen, die unter diesen Bedingungen arbeiten, bekommen schon nach kurzer Zeit Gehörschäden und Atemwegserkrankungen. Häufig kommt es zu schweren Unfällen. Die Lebenserwatung der Kinderarbeiter in den Steinbrüchen ist sehr gering.

Zusammen mit Norbert Blüm, Benjamin Pütter und anderen bin ich Gründungsmitglied des Vereins "XertifiX", der ein Gütesiegel für Steinimporte entwickelt hat, die garantiert nicht aus ausbeuterischer Kinderarbeit stammen. Die Einhaltung der Standards wird von unabhängigen indischen Partnerorganisationen streng kontrolliert. Aus den Zertifizierungsgebühren werden auch Sozialprogramme für Kinder und deren Familien finanziert, die auf die menschenunwürdige und gefährliche Arbeit in den illegalen Steinbrüchen angewiesen waren und sich jetzt eine neue Existenz aufbauen wollen. Inzwischen kann jeder Steinmetz mit dem XertifiX-Gütesiegel zertifiziertes Material bestellen.

Es wäre eine lohnenswerte Aufgabe, jetzt entsprechende Anträge für die Neugestaltung der Friedhofssatzung Eurer/ Ihrer Gemeinde zu stellen. Dabei könnt Ihr Euch/ können Sie sich auf den Beschluss der Stadt München, die Empfehlung der Evangelisch-reformierten Kirche und/oder sogar auf einen Beschluss des bayerischen Landtages (!) beziehen. Tatsächlich haben die Landesparlamente von Bayern, Sachsen, Bremen und dem Saarland Beschlüsse gefasst, in denen gefordert wird, im öffentlichen Beschaffungswesen keine Produkte einzukaufen, die aus ausbeuterischer Kinderarbeit stammen. Einige Kommunen haben dies sogar beim Kauf von Pflastersteinen für ihre Marktplatzgestaltung berücksichtigt, was sehr teuer werden kann.

Eine entsprechende Initiative der Landtagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen in Niedersachsen ist leider von Wulff und Co. sehr verwässert worden, so dass der Beschluss des niedersächsischen Landtages weit hinter dem positiven bayerischen Beispiel zurückbleibt.

Zusammen mit meiner Mitarbeiterin Frauke Wiprich habe ich Informationen über alle Fragen, die das verantwortungsvolle öffentliches Beschaffungswesen betreffen, zusammengetragen und auf meine Homepage gestellt. Dort könnt Ihr/ können Sie Hintergrundmaterial und Musteranträge finden, ebenso Berichte von erfolgreichen kommunalen Initiativen.

Ich möchte Euch/ Sie ermuntern, den Ball jetzt aufzunehmen und – wenn nicht bereits geschehen – in Eure/ Ihre Gemeinderäte und Kreistage zu spielen. Gern unterstützen wir Euch/ Sie dabei. Das Thema ist auch gut geeignet, mit Kirchengemeinden und Initiativen vor Ort (Eine-Welt-Läden, Amnesty-Gruppen etc.) öffentliche Veranstaltungen durchzuführen. Von "XertifiX" gibt es gutes Filmmaterial,  Power-Point-Präsentationen und Broschüren.

Bitte informiert/ informieren Sie uns auch über die Ergebnisse Eurer/ Ihrer Initiativen, die wir gern im Homepage-Special sowie im Newsletter veröffentlichen. Denn Euer/ Ihr Erfolg kann und soll andere beflügeln!

Auf gute Zusammenarbeit und mit herzlichen Grüßen,
Euer/ Ihr Thilo Hoppe

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Foto von Benjamin Pütter

Ansprechpartnerin
im Bundestags-Büro
von Thilo Hoppe:

Frauke Wiprich
Tel: 030-227-71396

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