Von Entwarnung kann keine Rede sein
Auch wenn der Höhepunkt der großen Hungerkatastrophe am Horn von Afrika überschritten ist, kann von Entwarnung keine Rede sein. Noch immer sind in Kenia, Äthiopien, Somalia und Dschibuti mehr als zehn Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Und in der westlichen Sahelzone bahnt sich bereits die nächste Ernährungskrise an.
Zusammen mit seinem Kollegen Frank Heinrich (CDU, Mitglied des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe) verschaffte sich der Sprecher für Welternährung der grünen Bundestagsfraktion, Thilo Hoppe, ein Bild von der Lage in den Hungergebieten und den Flüchtlingslagern der Vereinten Nationen. Die beiden Abgeordneten besuchten UNHCR-Camps in Kenia und Äthiopien sowie verschiedene Projekte des Welternährungsprogramms (WFP) und der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH).
Situation im Flüchtlingslager Dadaab gerät außer Kontrolle
Während die Versorgung der überwiegend aus Somalia stammenden Flüchtlinge in den UNHCR-Camps Dollo Ado (an der somalisch-äthiopischen Grenze) und Kakuma (Kenia) einigermaßen gesichert ist, gerät die Situation in Dadaab (Kenia), mit rund 560.000 Menschen das größte Flüchtlingslager der Welt, immer mehr außer Kontrolle. Aufgrund von Anschlägen eingesickerter Shabaab-Kämpfer aus Somalia haben sich viele Hilfsorganisationen und vor allem ausländische HelferInnen aus Sicherheitsgründen zurückgezogen. Es werden zwar noch statistisch gesehen ausreichend Nahrungsmittel und Medikamente nach Dadaab gebracht, die Weiterleitung und Ausgabe übernehmen jedoch eilig angelernte MitarbeiterInnen, die selber Flüchtlinge sind und oft nicht die Autorität haben, für eine gerechte Verteilung zu sorgen.
Außerdem akzeptieren die kenianischen Behörden keine Neuankömmlinge mehr und verweigern die Registrierung in Dadaab. Armeeeinheiten Kenias waren bereits Ende letzten Jahres auf somalisches Gebiet vorgedrungen, um eine so genannte Pufferzone an der Grenze von Kämpfern der radikal-islamistischen Shabaab-Miliz zu befreien. Die Shabaab, die im offenen Kampf den kenianischen Truppen unterlegen ist, revanchiert sich seitdem mit Terroranschlägen sowohl im Grenzgebiet als auch auf kenianischem Boden.
Ähnlich entwickelt sich die Situation an der äthiopisch-somalischen Grenzen. Bei ihrem Besuch im UNHCR-Flüchtlingscamp Dollo Ado erfuhren die beiden Bundestagsabgeordneten von äthiopischen Regierungsvertretern, dass die äthiopische Armee bereits 40 Kilometer auf somalischen Boden vorgedrungen sei und vorhabe, eine etwa 70 Kilometer breite Pufferzone einzurichten. Es sei damit zu rechnen, dass im Zuge dieser Kampfhandlungen in den nächsten Tagen und Wochen rund 50.000 weitere somalische Flüchtlinge in die fünf Lager um Dollo Ado strömen werden, in denen bereits jetzt 140.000 Flüchtlinge leben.
Flucht vor Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten
Thilo Hoppe und Frank Heinrich hatten in Dollo Ado die Gelegenheit, mit Neuankömmlingen zu reden. Einige berichteten den Abgeordneten, dass sie geflohen seien, weil die Shabaab-Milizen ihre Kinder als Kindersoldaten zwangsrekrutieren wollten. Auch im äthiopisch-somalischen Grenzgebiet wird damit gerechnet, dass die von zwei Seiten in Bedrängnis geratene Shabaab immer stärker zur asymmetrischen Kriegsführung übergehen und hinter den gegnerischen Linien mit Anschlägen durch kleine Terrorgruppen operieren werde. Seit den Schüssen auf ein Fahrzeug des Kinderhilfswerks „Save the children“ Mitte Januar hat es aber bisher keine weiteren Gewaltakte gegenüber ausländischen humanitären Hilfskräften gegeben.
Während sich in den Gebieten Somalias, die nicht von der Shabaab kontrolliert werden, die Ernährungssituation in den letzten Wochen aufgrund der sich verbessernden klimatischen Bedingungen und den Hilfsaktionen der internationalen Gemeinschaft etwas entspannt hat, bleibt die Lage der Menschen in den von der Shabaab kontrollierten Gebieten sowie in den Kampfzonen prekär. Nach dem Rausschmiss des Internationalen Roten Kreuzes, eine der letzten Hilfsorganisationen, die noch bis Ende Januar von der Shabaab akzeptiert wurde und in den von ihr kontrollierten Gebieten arbeiten konnte, sind jetzt wahrscheinlich rund 250.000 Hungernde ohne Hilfe. Doch das sind Schätzungen, weil es gesicherte Informationen über die Lage in den von der Shabaab kontrollierten Gebieten nicht gibt.
Deshalb ist auch die jetzt erfolgte Herunterstufung der Hungersituation am Horn von Afrika durch die Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen von der höchsten Stufe („famine“ = schwere Hungersnot) auf die zweithöchste („emergency level crisis“ = notstandsmäßige Krise) von insgesamt fünf Stufen mit Vorsicht zu genießen.
10 Millionen Menschen hungern am Horn von Afrika
Die Zahl der vom Hunger betroffenen Menschen am Horn von Afrika ist zwar von rund 13 auf rund 10 Millionen Menschen zurückgegangen, fällt jedoch in der bevorstehenden „kleinen Regenzeit“ nicht genug Niederschlag und gelingt es nicht daraufhin gute Ernten einzufahren, könnte die Zahl der Hungernden wieder schnell ansteigen.
Deshalb ist es jetzt enorm wichtig, sowohl die humanitäre Hilfe für die nach wie vor betroffenen Menschen fortzusetzen als auch große Anstrengungen zu unternehmen, weiteren Hungersnöten vorzubeugen. In der Massai-Region Kenias und im Hochland von Äthiopien konnten die Abgeordneten Frank Heinrich und Thilo Hoppe Projekte der Deutschen Welthungerhilfe und des Welternährungsprogrammes besichtigen, in denen Kleinbauern und Hirten darin unterstützt werden, widerstandsfähiger gegenüber Dürren zu werden. Mit relativ einfachen Mitteln wurden Dämme und Wälle zur Verhinderung von Bodenerosion und Zurückhaltung und Nutzung von Regenwasser gebaut. Programme und Projekte, die erfolgreich sind und ausgeweitet werden könnten, wenn genug Geld vorhanden wäre.
Im Kampf gegen den Hunger ist ein ganzes Maßnahmenbündel notwendig, zu dem neben der direkten Unterstützung für Kleinbäuerinnen und -bauern und Hirten auch der Aufbau von Nahrungsmittelreserven und sozialen Sicherungsdiensten gehören sowie wirkungsvolle Maßnahmen gegen skrupellose Spekulation mit Nahrungsmitteln auf nationaler und internationaler Ebene.
Recht auf Nahrung umsetzen
Die Regierungen der vom Hunger betroffenen Länder müssen mit Nachdruck an ihre Pflicht erinnert werden, das Recht auf Nahrung allen ihren BürgerInnen zu gewähren. In Kenia gibt es nach wie vor kaum eine Politik des sozialen Ausgleichs zwischen den fruchtbaren Regionen und ihren boomenden Metropolen und den von der Dürre betroffenen und von der Regierung stark vernachlässigten Gebieten im Norden und Nordwesten.
Äthiopien hat zwar durch die Unterstützung der Kleinbäuerinnen und -bauern auf dem Hochland und den begonnenen Aufbau von Nahrungsmittelreserven und Sicherungssystemen Erfolge im Kampf gegen den Hunger vorzuweisen, schafft allerdings im Süden durch die langfristige Verpachtung riesiger Agrarflächen an ausländische Investoren neue Probleme. Im Zuge dieser von Menschenrechtsorganisationen als „land grabbing“ (Landraub) bezeichneten Großinvestitionen ist es bereits zu Zwangsvertreibungen gekommen. Und sollten die Pläne umgesetzt werden, im Grenzgebiet zu Kenia auf 450.000 Hektar Zuckerrohr anzubauen, hätte dies aufgrund der enormen Gewässerbelastung katastrophale Auswirkungen auf die eh schon unter Wassermangel leidende Region im Nachbarland.
Kein Endes des Hungers ohne Ende des Bürgerkriegs
Die aufgrund des Klimawandels zunehmenden Dürren am Horn von Afrika machen vor Grenzen nicht halt. Und deshalb müssen die betroffenen Länder gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft eine grenzüberschreitende, regionale Hungerbekämpfungsstrategie entwerfen und umsetzen.
In Somalia wird der Kampf gegen den Hunger nicht zu gewinnen sein, wenn nicht der Bürgerkrieg beendet und eine politische Lösung für das Land gefunden wird. Doch die ist zur Zeit nicht in Sicht und wird – wenn überhaupt – dann über Zwischenlösungen wie die Ausweitung von immer mehr „sichereren Inseln“ führen – Gebieten mit regionalen Verwaltungsstrukturen, die nach und nach zusammenwachsen. Dies wird Zeit brauchen und deshalb ist klar, dass sich die Flüchtlingslager nicht rasch leeren werden. Die internationale Gemeinschaft darf die große Zahl der Hunger- und Bürgerkriegsflüchtlinge nicht allein lassen und sollte vor allem dafür sorgen, dass sich die Lage in Dadaab wieder stabilisiert, die Flüchtlinge mit dem Nötigsten versorgt und menschenwürdig behandelt werden.
Infolge der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren sind am Horn von Afrika vermutlich mehr als 100.000 Menschen verhungert. Sehr viele von ihnen hätten gerettet werden können, wenn auf die Frühwarnsysteme, die diesmal gut funktionierten, schnell reagiert worden wäre. Doch „early warning“ hatte nicht zu „early action“ geführt. Die internationale Gemeinschaft – auch Deutschland – hatte zunächst sehr langsam und zögerlich auf den dramatischen Hilferuf von VN-Generalsekretär Ban Ki Moon reagiert.
Ein Fehler, der sich jetzt in der westlichen Sahelzone nicht wiederholen darf. Dort bahnt sich die nächste Hungerkatastrophe an. Ernteausfälle infolge der dritten Dürre in einem Jahrzehnt haben zu erheblichen Nahrungsmittelengpässen geführt. Am Mittwoch, den 15. Februar, wurde ein Krisengipfel in Rom einberufen um an die internationale Gemeinschaft zu appellieren, schneller auf die nahende Katastrophe zu reagieren. Derzeit rechnen nie Hilfsorganisationen mit einem Bedarf von mindestens 720 Millionen US-Dollar, das Welternährungsprogramm spricht sogar von 808 Millionen US-Dollar. Davon sind bisher jedoch lediglich 135 Millionen zur Verfügung gestellt worden. Derweil sind laut verschiedener Schätzungen 10-15 Millionen Menschen vor allem in Niger, Burkina Faso, Mali, Mauretanien und im Tschad betroffen und benötigen dringend Unterstützung. Verschärft wird die Situation durch eine neue Tuareg-Rebellion im Norden Malis und Pogrome gegen Tuareg in den südlichen Landesteilen. 40.000 Menschen sind in Nachbarländer geflohen, 30.000 haben innerhalb Malis ihren Wohnort und ihre Felder verlassen und sind somit noch anfälliger für Unterernährung und Hunger. Die Bundesregierung hat dieses Mal frühzeitig reagiert und inzwischen 12 Millionen Euro zugesagt. Angesichts der sich zuspitzenden Lage rufen wir die Regierung auf, ihr Engagement umgehend zu verstärken. Selbst wenn alle Gelder jetzt zur Verfügung gestellt würden, dauerte es noch zwei bis drei Monate bis die Hilfsgüter die Bedürftigen erreichen. Zudem können aufgrund geplanter Kompetenzverschiebungen zwischen dem Entwicklungs- und Außenministerium einige der zugesagten Gelder noch nicht ausgezahlt werden – eine bürokratische Blockade, die die Hilfsaktionen nicht länger behindern darf.
Sowohl die zunehmenden Dürren am Horn von Afrika als auch im westlichen Sahel machen deutlich, wie stark der Klimawandel schon heute Menschen bedroht und tötet. Die internationale Gemeinschaft steht in der Pflicht, den schon jetzt Betroffenen beizustehen und die weitere Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen.